NL Rück, I, C-0570l

"Lieber Herr Marx!

Ich danke für Ihren l. Brief und Karte u. depeschierte Ihnen soeben: "Ihr Sohn beantrage Entlassung nach Nürnberg. Dort tun wir bestmöglichstes. Brieffolge. Grüsse." Ich denke, es wird keine Schwierigkeiten machen, dass er die Entlassung nach Nbg bekommt, obwohl er aus der englischen Zone stammt. Von Nbg aus kann er dann - wenn es wie ich hoffe noch wie früher ist - nochmals einen anderen Ort beantragen, falls unsere Bemühungen, ihn in Nbg
unterzubringen ohne Erfolg wären. Ich hoffe aber doch, dass es gelingt, ihn unterzubringen. Ob ich ihn beschäftigen kann auf längere Zeit, oder wenigstens vorübergehend, kann ich erst nach Rückkehr nach Nbg klären. Da
spricht das Arbeitsamt mit. Da er aber meiner Erinnerung nach als Kunstschreiner angesprochen werden kann, dürfte dadurch eine Unterbringung nicht ausser Bereich der Möglichkeit stehen. Ich denke an folgendes: ich selbst will sofort nach m. Rückkehr zu bauen anfangen, da könnte er mit beschäftigt werden und mithelfen. Herr Haid baut bereits an der Villa seiner Frau, und da werden in Bälde auch die Schreinerarbeiten fällig werden, also gäbe es evtl. auch dort Arbeit, wenn Haid solche nicht anderweitig vergeben hat, was ich nicht weiss. Mein Schreiner Krauss hat massenhaft Aufträge. Elsishans/Fürth trägt sich mit dem Gedanken der Einrichtung einer Schreinerei mit 7-8 guten Leuten für Möbelmodernisierung etc. auch da wäre ein Feld. Abgesehen davon vielleicht auch in meinen eigenen Geschäfte für ihn wenigstens einmal zum Übergange Arbeit, denn abgesehen von den Bauarbeiten wird die Sammlung in einem 130 qm grossen Raum der Erlanger Universität aufgestellt, u.z. anständig, damit man darin Führungen veranstalten kann: dazu brauche ich auch eine Hilfskraft für einige Zeit, wie auch zum Aus- und Umpacken der Sammlungskisten aus Sighartstein, die teilweise umgepackt werden müssen f. d. Transport über die oberste sehr steile schmale Stiege i.d. Universität. Endlich wäre evtl. an m. Freund Neuner/München zu denken, für die dort. städt. Instr. Sammlung wäre Ihr Sohn auch brauchbar, wenn etwas frei ist, wenn ich ihn nicht im eigenen Betriebe beschäftigen kann. Arbeit hätte ich derzeit zwar übergenug, aber 1. noch keine Werkstatt in der wir Klaviere wieder herrichten könnten, 2. ist das Material Politur, Sprit äusserst knapp, 3. weiss man nicht, wie die Arbeitsmöglichkeiten werden, wenn die Währung umgestellt ist u. dann das Geld karg werden wird! Aber ein tüchtiger Handwerker wird unterzubringen sein. Auch habe ich Beziehungen zu Fürther Möbelfabriken. Also kurz gesagt: ich denke, wir werden es schaffen! Und ich würde mich herzlichst freuen, wenn ich ihm und Ihnen damit dienen könnte, wo Sie doch auch soviel für mich getan haben und mir immer so gefällig gewesen sind, halte ichs als eine selbstverständliche Ehrenpflicht, zu helfen. Mit dem Arbeitsamte würde ich dann m.d. Dir. persl. sprechen. Ich gedenke, in der letzten Augustwoche zurück zu kommen. Inzwischen informiere ich Herrn Haid, damit er sich einstweilen um Ihren Sohn annehmen kann, falls er unerwartet plötzlich kommen sollte. Auf jeden Fall geben Sie Ihrem S[o]hn telegrafisch Weisung, seine Entlassg nach Nürnberg zu beantragen. Dort soll er sich Jahnstr. 27 melden bei der Kontoristin Tuttnauer oder bei Mauer hoff, der ebenfalls Jahnstr. 27 wohnt im 2ten, im Garten stehenden Behelfsheim. Haid ist tagsüber zu finden an sr. Baustelle Tristanstr. 4 und wohnt Galvanistr. 21 bei Deuerlein. Samstags und Sonntag ist Haid in Peters [...] Jahnstr. 27 ist Haid zu finden jeden [unleserl.] schluss der Baustelle, also so ca. ab 17 1/2. Wenn Ihr Sohn Kunstschreiner ist und wenn K. ein Mangelberuf ist - was ich hier nicht feststellen kann - so wäre eine Zuzugsmöglichkeit nach Nürnberg auch aus einer nichtamerikan. Zone heraus, also z.B. aus der engl. Zone heraus gegeben, wenn ich ihn am Arbeitsamte anfordere u. wenn ein solcher KSch nicht in Nbg zu haben ist. Hier dächte ich an den Fall, Ihren Sohn als Restaurator auszubilden, quasi als Ihren Nachfolger: dazu drücke ich den Zuzug ohne weiteres durch, da Sie unersetzbar sind und Ihre Nachfolge eine Angelegenheit, an der auch ein öff-entliches Interesse besteht, sogar ein grosses. Er würde allerdings vorerst sich mit einem Zimmer begnügen müssen also die Familie in Köln einstweilen bleiben müssen, bis die Wohn-Möglichkeit in Nbg sich einstellt, d.h. das Wohnungsamt eine geeignete Wohnung zuweisen kann. Die Unterstützung des Arbeitsamtes dazu habe ich, da ich den analogen Fall vor 2 Wochen mit dem Direktor besprach: Zuzug eines Konzerttechnikers von auswärts, weil Rückert kündigen wollte. Für Ihre gedachte Nachfolge wäre natürlich wichtig, dass er musikalisches Gehör hat u. Lust zu diesem Berufe... und zum allerersten, Sie selbst Lust, ihn helfen auszubilden, was ja wohl im Sinne früherer Pläne von uns liegt, aber inzwischen sind ja Ihre hingegangen!

War Ihr Sohn Parteimitglied? Wenn ja, hat er irgendwelchen Gliederungen angehört, gegf. welchen, nahm er darin irgendwelche Posten ein? Dann müsste ein Entnazifizierungs -Verfahren später durchgeführt werden, das allerdings ev. wieder in Köln einfacher wäre. Inzwischen müsste er eben als Hilfsarbeiter bezw. nach den gesetzl. Vorschriften beschäftigt werden, wie sie in der amerikan. Zone gelten. Da aber eine Stellung mit irgendwelchen Aufsichtsbefugnissen ja sowieso nicht infrage kommt, könnten aus dieser Richtung heraus kaum nennenswerte Schwierigkeiten erwachsen, ausser er wäre bei der SS gewesen, was ich aber nicht annehme. Eventuell bitte ich um genaue Angaben hinsichtl. sr. Parteizugehörigkeit und -Tätigkeit, um zu eruieren, ob von dieser Seite aus Schwierigkeiten auftreten könnten. Auf jeden Fall wäre mir wünschenswert, wenn ich allerraschest einen Lebenslauf mit Angabe sr. Tätigkeitsgebiete bezw. innegehabte Stellungen bekomme, was er alles kann gegf. worin er spezialisiert ist und wie er sich zu meinen Vorschlägen stellt! Irgendwie bringe ich ihn jedenfalls vorerst einmal arbeitend unter, sei es evtl. nur als Bau-Hilfsarbeiter, so hat er dann doch wieder Boden unter den Füssen und wenn er über 48 Std arbeitet evtl. erhöhte Rationen. Ich habe als Schreiner nur Kithil, denn der rabiate Keller verließ mich --Gottlob!-- freiwillig. Der Aufbau einer geregelten, und wie ich wünsche modernen Werkstatt, die leistungsfähig werden soll und praktisch eingerichtet werden soll, wird das allererste sein, vielleicht sogar als ca. 60 qm grosse Baracke wo Kithils stand (Verhandlungen schwebend!), da wäre für ihn sofort ein geeignetes Wirkungsfeld! Die Band- und Kreissäge nähern
sich ihrer Vollendung, Spinnmaschine bereits wie neu geboren, Kleinmaschinen Polier-Bohr-Kleinfräse-Maschinen) alle intakt. Hat Ihr Sohn Werkzeug? Das wäre äusserst förderlich, wenn wir auch manches beschaffen könnten, so fehlt doch noch manches, besd. Hobel, die unsere größte Sorge sind. Doch erhoffen wir aus der Zonenöffnung Erleichterungen. Wäre da wohl in Leipzig Werkzeug habbar?

Soviel heute zu Ihrer Information über meine Gedanken betr. Ihres Sohne. Event. wichtige Daten können Sie mir ja telegrafieren nach Nürnberg, Jahnstr. 27, da Briefe in Ihre Zone und retour je ca. 18 Tage benötigen. Diese Zeilen sende ich eingeschrieben bei der Wichtigkeit des Inhaltes.

Meinen Vorschlag betr. Clavichord: ich kaufe es Ihnen ab. Wenn Sie jetzt Geld benötigen jetzt gleich, sonst später ev. nach der Stabilisierung. Wegen der Finanzierung spreche ich mit Dr. Haessler beezw. Dütz. Schreiben Sie mir, was Sie dafür haben möchten, Sie sollen natrl. zum vollen Werte kommen, berechenbar, wieviel Arbeit es heute zum Copieren machen würde. Materialaufwand berechne dann ich dazu, so kommen wir auf einen praktikablen Vorschlag, wenn Sie Arbeitszeit, ich Material berechne. Indessen geniesse ich hier die gute Luft und erhole mich, kanns immernoch notwendig brauchen, vor allem viel Ruhe. Ihnen alles Gute und viele herzliche Grüsse von Ihrem".

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1946,07,29
Schreibort
Ramsau