NL Rück, I, C-0570m

"Mein lieber Herr Marx!

Ich danke vielmals für Ihr lieben und aufmerksames Lebenszeichen vom 9. ds. Mts. Ich lese ja immer Ihre Nürnberger Post und wenn Sie sehr selten von mir hören, ist das in erster Linie darauf zurückzuführen, dass ich im äusseren Geschäft der Firma laufend sehr viel zu tun habe. Unser Vermietgeschäft an Amerikaner ist gross und leider sehr, sehr unruhig, da diese Klaviere ständig hin und her gehen und man muss von früh bis abend auf der Hut sein, um laufend zu seinem Geld, was heute das Allerwichtigste ist, zu kommen. Die D-Mark ist nämlich sehr, sehr knapp, die Erwerbslosigkeit nimmt kolosal zu und kein Wunder, wenn auch das Vermietgeschäft stark rückläufig ist, die bisherigen grösseren Reparaturaufträge ausbleiben und auch die Stimmungen immer seltener werden.

Ihre 3 Päckchen, eines davon "Einschreiben" sind eingetroffen. Herzlichen Dank. Die 3 Päckchen werden für Herrn Dr. Rück verwahrt und Sie werden dann schon noch hören, nehme ich an, dass Herr Dr. Rück bis nach seinem Geburtstag zurückkehren wird.

Dem Hause Haid geht es soweit gut, nur ich habe mit einer dummen Sache, infolge eines vorjährigen Fahrradzusammenstosses, zu tun, befinde mich bereits in ärztlicher Behandlung und wünsche, dass es möglich sein wird, das blöde Unheil wieder ins richtige Gleis zu bringen.

Elisabeth wird nun am 1.11. 12 Jahre. Sie ist sehr gross geworden, geht schon in die 2. Oberschulklasse und lernt befriedigend, weil man
immer hinter ihr her ist, auch täglich eine Stunde am Klavier, was dies
heisst, wissen Sie als alter Klavierbauer ja selbst. Aber die Ausbildung bleibt das einzige wertvollste Fundament des künftigen Menschen, wo doch derzeit Hab und Gut bald für alle nur weniger wird. Ich gebe Ihnen anliegend ein letztes Bildchen. Im übrigen eine Frage: Wollen Sie sich nicht mal aufschwingen zu uns nach Nürnberg zu Besuch zu kommen, es wäre höchste Zeit, Sie füttern sich dann mal richtig raus, Sie fallen uns nicht zur Last, Unkosten haben Sie auch keine. Es ist jetzt doch leichter einen Interzonenpass zu bekommen, schiessen Sie also los und wenn Sie eventl. einen Brief der Firma zur Erlangung eines Passes dorten benötigen, senden wir solchen gerne sofort.

Herr Scholz hat am 15. Sept. auch seine Nürnberger Wohnung, 2 ganz nette Zimmer, ausgebaut, bekommen und bezogen und er darf damit sehr zufrieden sein.

Herr Dütz war unlängst hier, er bot die herrlichen Kleinklaviere für Herrn Schimmel in Braunschweig an, wir haben natürlich auch eines genommen, auch schon verkaufen können und wir warten alle auf den
Entscheid des Herrn Dütz, ob er rüber wechseln wird oder nicht. Es ist natürlich kein leichter Entschluss, weil man in den künftigen Verhältnissen doch nicht klar sehen kann.

Unser Herr Kithil war am 5. Oktober 60 Jahre alt. Er hat sich sehr gut
gehalten, obwohl er die grosse Sorge hat, dass seine Frau schon seit
2 Jahren einseitig gelähmt ist.

Nun bleiben Sie fernerhin gesund, besuchen Sie uns bald in Nürnberg
und wir werden dann das Wiedersehen fröhlich feiern. Ihnen allen recht herzliche Grüsse, nochmals herzlich dankend für Ihr Lebenszeichen, von // Ihrem".

Absender/Urheber Person
Absender/Urheber Institution
Empfänger Person
Datum
1949,10,12
Schreibort
Nürnberg