NL Rück, I, C-0570m

"Lieber Herr Marx!

Ich sende Ihnen anliegend eine Fotografie des Clavi-Organums von Samuel Kühlewind 1791 der Berliner Sammlung Nr. 14. Zu diesem Instrument haben Sie ja von Hartmann angefertigte detail-Zeichnungen.

Ich finde nun in dem grossen Buch von Harding über das Hammerklavier die beiliegende Zeichnung und darunter einenenglischen Text, den ich Ihnen anbei in Deutsch halbwegs richtig übersetzt zuleite. Vielleicht kann dieses Foto nebst Text und Ihren Detailzeichnungen die Frage klären, wie bei dem Clavi-Organum die Orgel und das Klavier abgestellt werden können. Ich weiss allerdings nicht, ob diese Kühlewind'sche Konstruktion auf das englische Instrument zutrifft.

Ein BEkannter von mir in England, Mr. Colt, schreibt in einem bebilderten Artikel, dass ein Clavi-Organum von Johannes Zumpe in spielbarem Zustand im Pariser Museums-Konservatorium steht, welches die Registerzüge so gearbeitet hat, dass entweder der Bass oder der Diskant abgestellt werden kann wie ein Piano. Mutmasslich ist dies ein sparsamer Weg, um den Effekt eine zweimanualigen Orgel zu erhalten, in welcher entweder der Bass oder Diskant von dem Piano begleitet wird, mit dem entgegengestzten Register der Orgel. Sehr gescheit werde ich aus dieser Beschreibung, offen gestanden, auch nicht.

Vermutlich sind diese Clavi-Organa so gearbeitet, dass man entweder Piano oder Orgel oder beide zusammen spielen kann. Bekanntlich sind ja alle technischen Ausführungen in englischer Sprache fürchterlich umständlich und weitschweifig.

Von der originalen Erard-Mechanik 1825 machte ich nunmehr vier Fotos: die beiden, auf denen die Tasten schwarz erschein[en], Abbildung 9 und 10, stammen aus dem Buch von Sachs, Das Klavier. Die Figur 4 von Harding, stammt aus Ihrem grossen Werk über das Hammerklavier. Der Fänger P ist aber hier anders gezeichnet als in der beiliegenden Figur 17. Diese Figur 17 ist ebenso wie die Figuren 9 u. 10 die Original-Erard-Konstruktion mit dem Fänger aus Draht. Diese Konstruktion ist bei unserem Chopin-Erard-Flügel vorhanden.

Ich lasse Ihnen nun durch Scholz Ende der Woche noch ein Skizze in natürlicher Grösse anfertigen, die Sie hier auch finden und ich denke, diese Angaben werden Ihnen dann genügen, um das Mechanikmodell machen zu können. Falls Sie dazu Weissbuchen holz benötigen, bitte ich Sie, bei Langhammer vorzusprechen, woselbst Sie vielleicht auch Drähte, Piloten und dergl. bekommen, um die Mechanik zusammenstellen zu können. Andernfalls bitte ich, diese Teile bei uns über Scholz anzufordern.

Viele liebe Grüsse // von Ihrem

 

NB. Ich finde soeben die Fotografie des originalen Mozart-Flügels und zwar das Diskant- und Bassfeld in je einer Aufnahme. Wie Sie aus diesen ersehen, ist bei den dreichchörigen Saiten die auf die Hämmer zu liegende vordere Wirbelreihe etwas nach links versetzt und die an diesen vorderen Wirbeln sitzenden Saiten greifen mit einem anderen Winkel an den Schränkstiften an. Ihre Erinnerung hat Sie also in dieser Beziehung nicht getrogen. Bei den zwei Kopien haben wir aber oder hat Maendler es getan, diesen Punkt nicht berücksichtigt. Herr Scholz und ich können uns nicht erklären, warum Walter diese eigenartige Schränkungsweise vorgenommen hat. Wir nehmen aber an, dass er dazu einen Grund hatte. Wir schlagen deshalb vor, bei der Konstruktionszeichnung dies zu berücksichtigen. Allerdings erinnere ich mich, dass eine Nachprüfung der gan[z]en Saitenteilung damals ergab, dass eine Ungenauigkeit vorhanden war, die wir ausglichen, die aber mit dieser eigenartigen Schränkung der Saiten an sich nichts zu tun haben.

Wir wollen noch in dieser Woche nach Erlangen und sehen, ob am frühesten noch nicht restaurierten Walter auch diese sonderbare Stellung der vorderen Wirbelreihe nebst Schränkung vorhanden ist. Herr Scholz meint, es wäre möglich, dass ein bestimmter klanglicher Effekt dadurch erzeugt werden könnte. Wenn man die Stiftreihen betrachtet, sieht man deutlich, dass bei einem Chor die beiden rechten Stifte enger beieinander liegen als jedem Dreichor die beiden rechten Stifte etwas enger beieinander liegen, während der linke Stift um eine Nuance weiter vom Mittelstift nach links abrückt. Die ev. erzielte, oben erwähnte klangliche Nuance bezieht sich wahrscheinlich nicht auf die Wirbelstellung an sich, sondern auf diese eigenartige Verteilung der drei Saiten im Diskant. Ich werde über das Ergebnis unseres Erlanger Besuches Ihnen noch separat berichten, lasse aber diesen Brief heute schon mit den Fotografien im voraus an Sie abgehen, falls Sie noch irgendwelche Rückfragen hätten. Sie bekommen also auch noch von Erlangen einen zugehörigen Aufriss der Erard-Mechanik in natürlicher Grösse.

Ausserdem finden Sie in dem Buch Walter Pfeiffer, Vom Hammer, in dem Sie ja auch ehrenvoll erwähnt sind, auf Seite 64 zeichnung 37 die Erard-Mechanik und auf Seite 132, letzter Abschnitt, eine Ausführung über das Spielgewicht.

Weiter fand ich in meinen Akten eine Mitteilung des leider bei Fliegerangriff umgekommenen Herrn Gerold-Dresden, der mir berichtete, dass Erard in seiner Broschüre über die Erard-Mechanik, die 1834 erschien, die SPieltiefe seiner Flügel mit 6,375 mm angibt und die Mechanik wunderbar leicht arbeitet. Ich will versuchen, ob ich nicht über Kinsky aus der Berliner Staatsbibliothek die Patentschriften Erards bekommen kann in Fotokopie, was bestimmt sehr interessant wäre. Kinsky hat mir in dieser Beziehung schon sehr viel geholfen und wird sicher auch hier helfen, wenn er kann. Die Bezeichnung 6,375 mm rührt wahrscheinlich aus einer Umrechnung damaliger Masse in das moderne Millimetermass her, denn ob die Spieltiefe 6,375 oder 6,40 mm ist, dürfte ziemlich belanglos sein. Immerhin würde mich Ihre Meinung zu diesem Punkt auch interessieren.

Damit schlisse ich meinen Brief. Inzwischen werden Sie das von Frl. Luise noch gepackte Paket mit Mehl etc. hoffentlich gut in die Hände bekommen haben.

Viele liebe Grüsse // von Ihrem".

 

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1950,09,07
Schreibort
Nürnberg