"Sehr geehrter Herr Dr. Rück,
Wegen einer wichtigen Arbeit kann ich Ihren letzten w. Brief erst heute beantworten. - Meine Anfrage nach den Katalogen bezog sich darauf, dass ich jetzt die Heyer'schen Kataloge [ehemals Köln, Musikhistorisches Museum Wilhelm Heyer], die ich bisher als Leihgaben noch hier hatte, nach Leipzig [Museum für Musikinstrumente der Universität] abliefern möchte und daher wissen wollte, welche der Kataloge Sie besitzen, falls ich darin etwas nachzuschlagen hätte. Die skandinavischen Verzeichnisse sind weniger wichtig, den Chouquet-Katalog [1884] vom Conservatoire Paris denke ich gelegentlich aus einem dortigen Antiquariat beschaffen zu können.
Aus dem Gutachten Tenuccis geht hervor, dass auch er das Prager Instrument für eine echte Viola pomposa hält und es nach seinem Befund 'in allen Teilen original und zusammengehörend' ist. Selbst wenn seine Ansicht zutreffend sein sollte, dass es nicht sächsischer, sondern böhmischer Herkunft sei, könnte man immer noch annehmen, dass es von einem böhmischen Geigenbauer gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach einem echten (Hoffmann'schen) Modell nachgebaut sei - also auch in diesem Falle grossen historischen Wert besässe, zumal ja bei [Albin] Wilfers Pomposa [Leipizg, Hoffmann] die geringe Zargenhöhe etwas verdächtig erscheint. Ich würde daher ebenfalls den Ankauf empfehlen und als Preis 4-500 Mark vorschlagen. Sollte die Forderung Vogls höher sein, liesse sich das niedrigere Gebot damit begründen, dass die Viola nach fachmännischer Begutachtung nicht aus Bachs Zeit stamme, sondern eine spätere Arbeit sei. - Tenuccis Einteilung in Instrumente mit C- und F-Löchern vermag ich nicht beizustimmen, da - von anderen Bedenken und Gründen abgesehen - der Schallochform keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, d. h. diese (wissenschaftlich) kein 'Primarkriterium' der Einstellung bildet. Zudem kommen ja auch regelrechte Gamben häufig genug mit F-Löchern vor (beliebige Beispiele: Heyer [Leipzig, Museum für Musikinstrumente der Universität] 813 (Tielke), 816 (Hummel), 818 (Alletsee) usw.), die aber doch unmöglich zur '1. Kategorie' gerechnet werden können!
Sie haben durchaus Recht, dass über den Begriff 'Violoncello piccolo' in der Instrumentenkunde grosse Unklarheit herrst, und eine einwandfreie Begriffsbestimmung ist in diesem Falle schwierig. Belege für das Vorkommen von V[iolon].celli 'mit 5 auch wohl 6 Saiten' im 18. Jahrhundert sind bei Mattheson, Walther, Eisel und noch bei Leopold Mozart zu finden; s. Heyer-Katalog II [Kinsky 1912], S. 558. - 'Ein Violon Cello Piculo (=piccolo) mit 5 Saiten von J. C. Hoffmann 1731' kommt im Inventar der (einst von Bach geleiteten) Köthener Hofkapelle v. J. 1773 vor (s. Bach-Jahrbuch 1905, S. 38).
Die Bezeichnung 'Viola da spalla' für Heyer 917 ist wohl kaum aufrecht zu halten, da die Quellenangaben über diesen Instrumentennamen (s. Heyer-Kat. II [Kinsky 1912], S. 548) zu schwankend sind. Wahrscheinlich ist hierunter ein V[iolon].cell (oder ein Basettl) zu verstehen, das nicht auf den Boden gestellt, sondern (lt. Mattheson 1713) 'mit einem Bande an der Brust befestiget' wurde; in Adlungs 'Musikal. Gelahrtheit' (1758) steht sogar nur: 'V.cello heisst auch Viola di spalla'. Heyer 917 war wohl ein auf besondere Bestellung gearbeitetes oder ein Versuchsinstrument, eine grosse Bratsche mit etwas weiterer Mensur und demzufolge sehr vollem Ton.
Das 18. Jahrhundert kannte die heutigen Termini 'Halb-' und 'Viertel-Cello' nicht. Nach meiner Ansicht - einstweilen freilich nur unter Vorbehalt! - war zu Bachs Zeit das V[iolon].cello piccolo in 2 Grössen gebräuchlich: 1) ein Kleinmodell mit ca. 46 cm Korpuslänge und stets 5saitigem Bezug (daher bisher unrichtig als 'Viola pomposa' benannt!): Heyer 918, 919, 921; Brüssel 1445, Eisenach 56 (etwas grösser: Heyer 920); 2) ein grösseres, stets 4saitiges Modell, nur unwesentlich kleiner als das jetzige 'Viertel-Cello': Heyer 932-935, Rück 95 u. 96. - In Ihrer sehr nützlichen Tabelle fallen mir übrigens die vom Heyer-Katalog ziemlich erheblichen Abweichungen bei Nr. 932, 934 u. 935 auf. Als Gesamtlänge notieren Sie 97, 166, 92 1/2 cm; lt. Katalog betragen sie 103, 91 1/2, 96 cm. Sollte mein Museumswart sich da so vermessen haben?
Auf Nr. 7 der Liste (Zimmermann) mit den falschen Zetteln und dem neuen Hals würde ich unbesehen verzichten, da der gleiche Typ durch Nr. 9 u. 10 (95 u. 96) [gemeint sind wohl die beiden Instrumente Kolldiz 1712 und Mayr 1752, die Rück bereits in einem Brief 1932 als Vergleichsinstrumente nennt] in Ihrer Sammlung [Rück] - Arbeiten bekannter Meister - weit besser vertreten ist und der geringe Grössenunterschied von einigen Zentimetern keine Rolle spielt.
Die Höhe der Liquidation für den heutigen Brief, der eine mehrstündige Arbeit erforderte, wollen Sie gefl. selbst festsetzen. Meine Einkünfte werden von Monat zu Monat knapper - ich bin daher für jedwede Zuwendung sehr dankbar!
Mit besten Grüssen // Ihr sehr ergebener // [handschriftlich] Dr. G. Kinsky".