"Sehr geehrter Herr Dr. Rück,
Ihren ausführlichen Brief v. 2. habe ich gestern erhalten und will ihn sogleich beantworten.
Ich habe Ihnen eine kleine Auswahlsendung guter zeitgenössischer Bildnisstiche von C. Ph. Em. Bach, Beethoven, Gluck und Haydn zusammengestellt.
Die Sendung geht morgen ab; ich schreibe Ihnen noch Näheres über die einzelnen Blätter.
Herrn Wildhagen habe ich benachrichtigt, dass er sich wegen einer Entscheidung noch etwas gedulden müsse.
Den angebotenen Stein-Flügel halte ich für 180 M billig. Der Umfang von 6 Oktaven (F1-f4) deutet auf die Zeit um 1820. Zur Feststellung, um welches Mitglied der Familie Stein es sich handelt, erwarte ich noch Ihre Mitteilung über den genauen Wortlaut des Firmenschilds oder des Etiketts. Klaviere oder Flügel von Matthäus Andreas Stein sind nicht häufig. Bekannt sind mir Instrumente im Museum der Gesellschaft der Musikfreunde zu Wien (Nr. 12) und im Metrop. Museum New York (No. 1213); ausserdem ein Flügel in der ehemaligen amerikanischen Sammlung M. Steinert - New Haven. Das Tafelklavier Berlin Nr. 1251 ist wohl kaum eine Arbeit von Andreas Stein (s. Sp. 85/86 im Katalog von Sachs [1922]).
Harmonium von Reinert (?), Wien: wie alle frühen Harmoniums bezw. Aeolinen oder Physharmonikas ein interessantes Stück, da damals fast jeder Fabrikant nach eigenem Modell arbeitete, jedes Instrument also seine besondere 'Note' besitzt. Zeit: wohl später als 1820, etwa Ende der 1830er Jahre, wofür auch die Firmenangabe 'Harmonikafabrikant' spricht; 'Harmonika' als Bezeichnung für kleine Zungenwerke in der Art der Ziehharminika hat sich wohl erst kurz vor 1840 eingebürgert. - Ist in Ihrer Bibliothek die Schrift von L. Hartmann (Bayreuth) über das Harmonium und seine Geschichte (Leipzig 1912, Verlag B. Fr. Voigt) vorhanden? Sie ist zu empfehlen.
Ferner: Im Heyer-Katalog II [Kinsky 1912], S. 667 ('zu I, S. 337') ist ein Aeolodicon des Mechanikers Reich aus Fürth bei Nürnberg v. J. 1820 erwähnt. Ob sich dort noch irgend eine Spur dieses Instruments ermitteln liesse?
Pedal-Hammerflügel sind recht selten, und es wäre daher sehr willkommen, wenn Sie die fehlende Pedaltatatur Ihres Instruments nach dem Salzburger Original nachbilden liessen. Die Beschreibungen im New Yorker Katalog [Metropolitan Museum of Art 1904] sind meistens leider recht dürftig und ohne Angaben über bautechnische Einzelheiten. Eine Abschrift der Beschreibung des dortigen Stein'schen Pedalflügels No. 3182 [heute Ac.-Nr. 89.4.3182, Johann Schmidt zugeschrieben] lege ich bei; eine Abbildung enthält der Katalog nicht. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass auch der unsignierte Salzburger Flügel Nr. 70 [Inv.-Nr. 244, siehe Geiringer 1932a] und mithin auch Ihr Exemplar Arbeiten von Joh. Andreas Stein sein können, der wohl derartige Pedalflügel als Spezialität baute - zuvor müsste man allerdings ein Photo des New Yorker Instruments zu Vergleichszwecken haben. Kastenform und Ausstattung der gedrehten Beine, auch die Ausstattung der (Manual-) Klaviatur mit hellen Ober- und dunklen Untertasten sind bei Salzburg Nr. 70 ganz ähnlich wie bei dem Stein-Flügel Heyer Nr. 171 [heute Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig] (Abbildung: Katalog [Kinsky 1910] Bd. I, S. 175), so auch die Abschrägung an den Seitenbacken; wenn nicht Stein selbst, so kommt doch wohl einer seiner Schüler in Betracht. Sodann hat die Pedaltastatur des Salzburger Flügels genau denselben Umfang wie New York 3182. Da diese Instrumente mit Vorliebe von Organisten als häusliche Uebungsinstrumente zum Ersatz der Orgel benutzt wurden (wie früher die Pedal-Clavichorde), wird Ihre Vermutung schon zutreffen, dass das Pedal die (den Organisten von der Orgel her vertraute) Einrichtung der 'kurzen Oktave' besass. Auch dies würde noch für das 18. Jahrhundert, also die Zeit Steins, sprechen, denn in der Biedermeierzeit war die kurze Oktave kaum noch gebräuchlich. - Literatur über den Pedal-Hammerflügel ist mir nicht bekannt, vielleicht in dem Lehrbuch von Blüthner-Gretschel [1872]? (nicht in meiner Bibl.[iothek]) wohl aber gibt es einige musikalisch wertvolle Kompositionen für das Instrument: die Studien und Skizzen für Pedalflügel von Robert Schumann, opus 56 und 58, die 1845/46 erschienen und für ein damals vom Leipziger Konservatorium angeschafftes Instrument geschrieben sind. Ich besitze schöne ältere Ausgaben beider Werke und könnte Ihnen selbige für zusammen 10 M ablassen.
Ueber das Trumscheit [Tromba Marina] ist vor einigen Jahren (1926) eine brauchbare französische Monographie von Paul Garnault erschienen; ich sende sie Ihnen leihweise zu. Auf den Seiten 26-28 sind dort einige Originalkompositionen aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts abgedruckt. Allerdings wird es nicht leicht sein, geeignete Geiger (am besten Cellisten) zu finden, die sich der Mühe unterziehen, sich mit der eigenartigen und schwierigen Spielweise des Trumscheits vertraut zu machen! Vielleicht wäre es vorzuziehen, die Trumscheits nicht als Melodie-, sondern nur als Begleitinstrumente zu verwenden, d. h. die beiden Oberstimmen durch Oboen oder Violinen wiederzugeben und nur die verhältnismässig einfache Baßstimme von einem Trumscheit ausführen zu lassen.
Alte Stiche mit Trumscheitspielern werden kaum aufzutreiben sein; möglicherweise genügen aber für Ihre Zwecke die guten Reproduktionen auf den Garnaults Buch beigegebenen Tafeln (nach Seite 8 und am Schluss). Das Buch dürfte aus Frankreich (Nizza) noch zu beschaffen sein; der Verfasser selbst ist - wenn ich nicht irre - vor Kurzem gestorben. Von dem Familiengemälde von Teniers (1. Tafel bei Garnault) besitze ich eine prächtige grosse Photographie. Bei Ihrem Besuche in Köln im vergangenen Herbst sprach ich Ihnen auch von dieser schönen Photographiesammlung aus dem Heyer-Museum (ca. 65 auf Karton aufgezogene Grossfolio-Blätter, sog. Kohledrucke). Diese Kollektion, die für Museumszwecke zur Veranschaulichung der Spielweise alter Instrumente ausgezeichnet geeignet ist, möchte ich gern preiswert abgeben - vielleicht kommen wir bei baldiger Gelegenheit auf dieses Projekt noch zurück.
Mit freundlichen Grüssen auch an Ihren w. Herrn Bruder [Hans Rück] // Ihr stets ergebener // [handschriftlich] Dr. G. Kinsky"