"Sehr geehrter Herr Dr. Rück,
Als Antwort auf Ihren w. Brief v. 5. teile ich Ihnen mit, dass das mir zur Ansicht übersandte Pergament-Doppelblatt ein Fragment aus einem liturgischen Codex mit sog. deutschen Choralnoten anscheinend aus der Zeit um 1500, d. h. aus der zweiten Hälfte des 15., oder dem Beginn des 16. Jahrhunderts ist. Das Blatt ist sehr gut erhalten und besticht auch durch das als Schreibstoff benutzte schöne und kräftige Pergament.
Die c- und f-Linien des Notensystems sind aber nicht - wie sonst üblich - rot und gelb gefärbt, sondern zu Beginn jedes Sytems nur durch Buchstaben angedeutet. Da derartige Blätter nicht grade selten vorkommen, würde ich das Stück nicht höher als 30 (dreissig) Mark bewerten.
Sobald ich in Besitze der nicht behaltenen Stiche bin, erhalten Sie Abrechnung über unsern Kontostand.
Zufällig habe ich am morgigen Montag wegen einer Autographenangelegenheit in Frankfurt zu tun und werde bei dieser Gelegenheit Herrn Carl aufsuchen, um mir seine Zister anzusehen.
Nun noch ein anderes Angebot! Das interessante Stammbuch eines sächsischen Orgel- und Klavierbauers aus dem Ende des 18. Jahrhunderts soll verkauft werden, und zwar das Stammbuch des Hoforgelbauers Carl Rudolf August Venzky (1767-?), über den nähere Angaben im Heyer-Katalog Band I [Kinsky 1910], S. 369, zu finden sind. Das Buch enthält etwa 150 Eintragungen aus den Jahren 1786 bis 1808, hauptsächlich aus den Wanderjahren V.s, die ihn auch nach Franken - Neustadt a. d. Aisch, Bayreuth, Wunsiedel (Geburtsort des Dichters Jean Paul) und Markt-Erlbach - führten, ausserdem ca. 25 farbige Zeichnungen (z. T. auch von Instrumenten), einige hübsche Silhouetten-Bildnisse, Widmungskompositionen usw. Von bekannten Dresdner Instrumentenbauern sind darin mit eigenhändigen Eintragungen (smtl. aus dem Jahre 1786) vertreten V.s Lehrer, der Hoforgelbauer Friedrich Treubluth, der bedeutende Klavierbauer Johann Gottfried Gräbner, die Blasinstrumentenmacher Heinrich Grenser und Friedr. Wilh. Jacoby, ferner der Orgelbauer Wiegleb in Bayretuth [sic, gemeint ist wohl Bayreuth] und dessen Familie (1788), die gesamte Familie Venzkys u. a. m. Das ganze Album ist ein recht anziehendes Zeit- und Kulturdokument und würde sehr gut in den Rahmen einer historischen Instrumentensammlung passen. Es ist sehr preiswert für 45 Mark zu haben. Ich könnte es Ihnen zur gefl. Ansicht zusenden, doch müssten Sie sich rasch entschliessen, da dem in Not geratenen Besitzer an einem sehr baldigen Verkauf gelegen ist.
Mit freundlichen Grüssen auch an Ihren w. Herrn Bruder // Ihr sehr ergebener // [handschriftlich] Dr. G. Kinsky"