NL Rück, I, C-0873g

"2. Vorlesung Professor Steglich, // Donnerstag, 15. Mai 1941, in unserem Hause

St. knüpft an den Schluss der 1. Vorlesung an, wo er den Begriff des geistigsten Tons, den Wagner prägte, dahin formulierte, dass es sich um einen Klavierton handle, der vom Material gänzlich losgelöst sei und ein Maximum an Fülle und Volumen erreicht habe ähnlich dem Wagner-Orchester. Das Orchester wurde im 19. Jhrh. durch Wagner in seiner Klangform und seinem Volumen wesentlich bereichert, z.B. durch die Wagner-Tuben, die einen gewaltigen Ton-Schwall erzeugen.

Die Entwicklung des Klaviertons ging damit Hand in Hand. Beethoven verlangte von den Klavierbauern der damaligen Zeit einen stärkeren Klavierton mit mehr Kraftfülle und vor allem Pathos. Wie war das zu erreichen? Die ersten Hämmer waren ja am Hammerklavier überhaupt nicht beledert, sondern noch Holz und winzig klein: Beispiel Hubert-Travers-Flügel [MIR1176]. Dann ging man zur Belederung über. Die Hammer werden zusehends grösser. Später hat man nach einem anderen Material gesucht, das noch mehr Tonfülle gebe und dabei den Ton vom Materiellen mehr und mehr loslöse und hat dies im Filz gefunden. Man packt also den hölzernen Hammerkern in Filz ein und kam damit dem Wagner'schen Ideal am nächsten.

Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch mehrere grundlegende Erfindungen:

die Doppelrepetitions-Mechanik Erards, die kreuzsaitige Konstruktion durch einen Amerikaner, die Gussplatte durch Steinway. Dabei taucht auch bereits eine neue Form auf: das Pianino, erstmals Ende der 20er Jahre durch Pape-Paris. Übrigens sind die englischen und französischen Klaviererfinder deutscher Herkunft, Steinweg (-way) aus Seesen, Erard früher Ehrhard aus Strassburg, Zumpe in London deutsch, ebenso Shudi ein Schweizer. Der Klavierbau des 20. Jhrh. wurde also massgeblich von Deutschen erfunden.

Die Form des Pianinos erobert sich in der 2. Hälfte des 19. Jhrh. weitere Liebhaber und es bilden sich 2 Lager heraus: die Flügelmenschen, die frei und souverän gestalten - einer der ersten war Liszt - und die Pianino-Menschen, die mehr in sich hinein gänzlich versunken ein Instrument, eben das Pianino, vorziehen. Das Pianino ist also für Menschen gedacht, die ganz sich selbst gehören und für sich selbst spielen wollen. Der Flügel jedoch für jemanden, der besonders für die Umwlet gestalten will im Konzertsaal, oder Sänger. In späteren Jahrtausenden werden der Flügel und das Pianino eine Art Leit-Fossil des 20. Jhrh. werden.

Die Dimensionen des Flügels werden immer massiger und immer grösser und demgemäss auch der Tonschwall. Auch beim Pianino eine ähnliche Erscheinung.

Zu Beginn des 20. Jhrh. bereitet sich langsam eine Änderung des Klangideals vor. Man will leicht tragbare, kleine Instrumente und als erstes erscheinen die Wandervögel mit ihren Zupfgeigenhansln auf dem Plan. Die Gitarre kann aber nicht so recht durchdringen, sie wird dann abgelöst durch die Blockflöte, die immer mehr an Verbreitung gewinnt. Inzwischen hat sich aber noch im 19. Jhrh. ein anderes, drittes 'Leit-Fossil' entwickelt, die Mund- und die Ziehharmonika. Bei der Mundharmonika ist zu beanstanden, dass sie beim Einatmen des Tons einen anderen Akkord ergibt als beim Ausatmen.

Übrigens hat Chopin eine Klavierschule begonnen, allerdings nie vollendet, in welcher er den Einfluss der Atmung auf das Spiel als wesentlich anspricht. St. vergleich dies mit wellenförmigen Bewegungen des Handgelenks beim Klavierspiel, wie sie gerade für den Vortrag romantischer Stücke nicht unbeachtlich sind.

Dieser Wandel des Klangideals dürfte sich vielleicht auch im Klavierbau ankündigen im Kleinklavier. Der Typ wurde ja bereits durch Pape in den 30er Jahren in Paris erfunden. Die Entwicklung des Pianos ging dann auch zuerst auf immer grössere Dimensionen und immer grösseren Tonschwall. Die neuen Kleinklaviere scheinen aber vereinzelt schon einem neuen Klangideal Rechnung zu tragen, insofern ihr Ton schlanker und nicht mehr so schwulstig wird: besonders charakteristisch in dieser Beziehung ist 'Laurenz Mayer', 'Förster', und das kleine 'Blüthner'. Ob diese Entwicklung sich weiter fortsetzt, ist noch abzuwarten.

Anschliessend daran demonstriert St. verschiedene Instrumente: als erstes Clavizytherium [MIR1080]: der Ton ist hier materialgerecht, man hört deutlich das Anreissen der Saite durch den Kiel. Der Ton ist dabei aber von einer vollendeten Schönheit, allerdings handelt es sich auch um ein ausgewählt feines Instrument. Beim Clavichord wird der Ton durch das Abteilen der Saite mittels der Tangente erzeugt. Die Hand bleibt in steter Verbindung mit der Saite und dadurch kann der Spieler den Ton individuell stark beeinflussen. Er ist allerdings zart, das Instrument war das Klavier schlechthin und nur für häusliche Zwecke, also nicht für den Konzertsaal bestimmt.

Als Typus des frühen Hammerklavieres gilt der Hubert-Traversflügel: sein Ton durch kleine Hämmerchen ohne Belederung klingt noch stark an den Ton des Clavizytheriums an, was durch Spiel gleicher Partien auf beiden Instrumenten erhärtet wird. Der Flügel hat bereites einen Moderatorzug, aber noch keine Kniehebel. Es wurden also nur gelegentlich kürzere Stellen mit aufgehobener Dümpfung oder mit Moderatorzug gespielt: Beispiel die bekannte kleine Sonate von Mozart mit einer Variation, die sich für Moderatorzug sehr gut eignet.

In der Schrift von Nanette Streicher [Streicher 1801], die sie um 1802 über die Behandlung und Pflege der Streicherschen Pianoforte verfasst hat findet sich eine Stelle, in der sie als Ideal des Klaviertons einen flötenähnlichen Ton sich vorstellt. Dieser Wunsch wurde bald zeitlich überholt durch die Forderung Beethovens, der den Klaviermachern die Aufgabe stellte, den Ton der Flügel mit Pathos, Fülle und Kraft auszustatten.

Beethoven hat also wie oben erwähnt, von den Klaviermachern der damaligen Zeit grössere Tonstärke und mehr Pathos verlangt. Dem passten sich die Klaviermacher an: Beispiel Streicher's Flügel mit oberschlägiger Mechanik [MIR1118]. Eine Stelle aus einer Beethovensonate Opus [?] Nr. [?] Satz [?] beweist dies augenscheinlich: hier kommen die Bässe noch vollkommen klar heraus. Ein Vergleich der gleichen Stelle auf einem modernen Steinway-Flügel bringt, dass die gleiche Stelle beim Steinway-Flügel im Bass verschwommen klingt, der Ton ist hier bereits wie in Watte eingewickelt.

Daneben lief in der späten Beethovenzeit ein anderes Klangideal mit: Der Graf-Flügel [MIR1119], der ausgesprochen dem Klanggefühl der Romantiker entgegenkam, aber doch auch noch im Bass wesentlich klarer ist als der moderne Flügel. Sein Toncharakter ist im allgemeinen schwebend. Er ist ausgerüstet mit Moderatorzug und Verschiebung und eine Stelle aus Schubert, die die Zuhörer immer begeistert, gibt Klangwirkungen mit dem Moderatorzug der Vorderpedale, die auf einem modernen Flügel überhaupt niemals erreicht werden können.

Die ausgehende Romantikerperiode wird noch vorgeführt durch den Erard-Flügel [MIR1125], der mehr spitz im Ton ist entsprechend dem französischen Klangideal, aber noch nicht erschöpfend vorgeführt werden kann, weil in der Restaurierung noch nicht fertig."

Absender/Urheber Person
Empfänger Institution
Datum
1941,05,15
Erwähnte Objekte
Querhammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Klang
Klaviziterium
Tasteninstrumente
erwähnt als
Klang
Hammerflügel mit oberschlägiger Mechanik
Tasteninstrumente
erwähnt als
Klang
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Klang
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Restaurierung
Klang
erwähnte Institutionen
erwähnt im Zusammenhang
Erbauer(in) Musikinstrument(e)
erwähnt im Zusammenhang
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Literaturreferenz
Streicher 1801