NL Rück, I, C-0570k

"Lieber Herr Marx!

Ihr Brief vom 15. Oktober erreichte mich und war mir eine Erlösung, nachdem ich endlich weiss, dass Sie am Leben und wenn auch stark abgemagert, wohlauf sind. Meine Briefe oder richtiger meinen dicken Brief scheinen Sie nicht erhalten zu haben. Ich schrieb in ihm, wenn Sie Lust und Kraft hätten, könnten Sie für mich noch zwei Clavichorde bauen, worüber ich ja schon früher korrespondierte und Ihnen alles überlassen bliebe. Es würde sich um Instrumente mit 5 Okt. bundfrei handeln, Grösse Ihrem Ermessen überlassen. Holz müsste Blüthner stellen oder Mannborg, wenn Beide noch existieren! Wenn ja, bitte ich dort meine besten Grüsse zu übermitteln.

Ich bin leider schon seit 6 Monaten an einer schweren Darmneurose erkrankt und mache jetzt eine Diätkur in Nürnberg, die mich hoffentlich in bessere Verfassung bringt. Die enormen Anstrengungen des letzten Jahres mit den andauernden Alarmen brachten mir diese Krankheit. In Nürnberg stellte Haid ein Behelfsheim in den Garten, das 10 qm Büro und 15 qm Werkstatt hat. Über das Schicksal der nach Sighardstein verbrachten Teiles der Sammlung bin ich ganz ungewiss, ob sie nicht als ausländische Devisen betrachtet und beschlagnahmt wird. Dann haben wir uns Beide ehrlich über ein Jahrzehnt umsonst geplagt. Da aber die Sammlung ja doch später einmal einem öffentlichen Museum angegliedert werden müsste, hoffe ich sie freizubekommen. Der Jean André Stein Flügel und der Karl Stein-Flügel sind gerettet. Über das Schicksal Ihres bei der Stadt Nürnberg deponierten Clavichords konnte ich noch nichts endgültiges eruieren. Es kann verbrannt sein, es kann aber auch in einem derzeit noch nicht zugänglichen Depot sein. Ich tue mein möglichstes, um Klarheit zu schaffen.

Ich will bald von Hersbruck wieder nach Nürnberg und wenn alles klappt, wohne ich dort bei Architekt Gustav Siegel, Katzwangerstr. 71, wenn das Geschäft im Anwesen Jahnstrasse 27 weiter betrieben wird. Haid arbeitet am Wiederaufbau von Jahnstr. 27: eine mühselige, höchst undankbare Arbeit. Umsomehr vorerst keinerlei öffentliche Unterstützung darin möglich ist.

Ich schulde Ihnen Geld, sehe aber keine Möglichkeit, Ihnen vorerst solches zu senden. Habe überdies auch noch keine Rechnung. Wenn einmal der Postverkehr geht, werden wir diese Sache gleich bereinigen.

In Nürnberg in der Jahnstr. 27 steht ein zweites Behelfsheim, das von Herrn und Frau Mauerhoff bewohnt wird: das wäre eine Wohnstelle für Sie gewesen und ich glaube in Bayern wäre es Ihnen vielleicht doch besser gegangen. Aber ich kann anderseits verstehen, dass Sie Ihre Leipziger Wohnung nicht verlassen wollen.

Unser gemeinsamer Bekannter Steinert war letztmals bei mir im September. Er beabsichtigte von da ins Rheinland auf Stellungsuche zu gehen.

Frl. Luise ist auch stark abgemagert, aber soweit wohlauf, Kithil und Ziereis arbeiten wieder, Käser war 6 Monate krank und will Anfang November wieder beginnen.

Dies wären in Kürze die wichtigsten Neuigkeiten! Wenn Sie also Lust und Liebe und so viel Kraft haben, gehen Sie an ein oder zwei Clavichorde und andernfalls werden wir eben warten müssen, bis bessere Zeiten kommen, die einen persönlichen Verkehr zwischen uns wieder möglich machen. In Nürnberg hätte ich eine für Sie geeignete leichte Arbeit: Neubeledern eines 4 registrigen Maendler Cembalos. Maendler verlor in München Wohnung, Geschäft, Werkstatt, Vorräte und lebt als schwergeprüfter Mann in seinem Wochenendhaus am Pilzensee. Er zeichnet fest für seine 72 Jahre an neuen Spinetts und Clavichords-Modellen.

Für heute alle guten Wünsche, alles Liebe und allerherzlichste Grüsse von mir und Luise // Ihr".

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1945,10,19
Schreibort
Hersbruck