NL Rück, I, C-0570k

"Mein lieber Herr Marx! Lange ruhte unser Briefwechsel: Ihren l. Brief vom 28.2.45 aus Riesa erhielt ich am 2. April. Meine letzten Mitteilungen an Sie datieren vom 6., 20., 23.III. und 11.IV. wesentliches darin ist, dass auch Jahnstr. 27 bis zum parterre beim Angriff am 16.3. total ausbrannte, ebenso das 2te Depot Schloßäckerstrasse, so dass ich keine Quadratmeter Raum mehr hatte. Inzwischen stellte mir das Theater einen Raum für ca. 30 Klaviere zur Verfügung im Theater. Ich und Luise blieben heil, trotzdem in Hersbruck durch Tiefflieger 80 Häuser meist beschädigt, z. Tl. auch vernichtet wurden. Wir leben vorerst hier, ich bin krank an einer schweren Darmneurose, die mir die entsetzlichen Aufregungen des letzten Halbjahres brachten und das ständig sehr anstrengende Hin- und Herfahren. Seit 8 Wochen laboriere ich daran und endlich bekomme ich, so Gott will, in dieser Woche das richtige Heilmittel dagegen: Encynorm = künstlichen Magensaft, da Magen und Darm nicht mehr funktionierten bezw. sehr schlecht. Wiege 13 Kilo unter meinem normal notwendigen Gewicht, hoffe aber jetzt langsam auf Besserung. Magen hatte keine Säure mehr abgesondert. Bin recht schlapp und arbeitsunfähig. Liege viel, kann aber aufstehen und auch etwas ausgehen.

Und wie gehts Ihnen? Dies bald zu erfahren, und so Gott will mindest halbwegs Günstiges würde mich aufrichtigst und herzlichst freuen. Sie haben auch Schweres durchgemacht in Leipzig, und vermutlich auch mit Ihren Angehörigen! Bitte berichten Sie mir sobald es geht. Ich versuche, diesen Brief über einen Soldaten spedieren zu können, der zu fuss wandert, wie jetzt üblich! Vielleicht finden Sie auch solch eine Gelegenheit an mich, Adresse wie oben, da ich jetzt nicht mehr bei Nunhofer (gewes. Landrat) sondern im Katasteramt nebenan bei Dir. Slevogt wohne.

Von Haid weiss ich, dass er zuletzt in Oberammergau war, vermutlich kriegsgefangen. Kithil wurde beim Volkssturm gefangen, kehrte jetzt zurück, wiegt noch 90 Pfund, muss sich erst erholen. Rückert arbeitet seit Pfingsten wieder bei meinem Hause in Nbg. (wohnt Hillerstr. 1/II, falls Sie Briefbeförderung nach Nbg hätten, dahin richten). Käser liegt noch hier an einer schweren Venenentzündung mit Embolie, wird in 3 Wochen arbeiten, aber seine Wohnung total ausgebombt, in der Jahnstr. steht nur noch 1 Haus bewohnbar schräg gegenüber, alles andere ausgebrannt, auch Dachlauer. Steinbühl fast zur Gänze vernichtet, ebenso die Altstadt. Nürnberg ist ein Trümmerhaufen. Von Ziereis, bei Südarmee, weiss ich nichts, Hoffmann seit 1-2 Jahren ohne Nachricht, wollte nach.... Prag in Stellung! Wird sichs überlegen.- Bechstein total ausgebrannt. Dir. Dütz bei Plauen privat wohnend. Stamnitz bei Georgswalde. Ob Steinway und Blüthner noch steht weiss ich nicht. Renner, und Keller und Bösch ausgebrannt. So siehts in der Branche mies aus. Ich verlor an 30 Mietklaviere und -Flügel, die anderen hoffe ich erhalten, da über Bayern zerstreut. Die Sammlung hoffe ich soweit verlagert, im westl. gerettet, allerdings von Sighartstein habe ich keine Nachricht, doch wurde Salzburg nicht verteidigt, so dass ich Hoffnung habe, dass es intakt blieb. Ihr Clavichord ist wohlbehalten, bei der Stadt Nbg eingelagert, aber derzt. nicht zugänglich. Von Schultz erhielt ich noch im März kurze Nachricht, dass er heil sei. Maendler ist im Geschäft, in Wohnung und in Fabrikation total ausgebrannt, haust bezw. vegetiert in Hechendorf-Seefeld, Haus Nr. 44, Oberbayern, wo sie ein kl. Wochenendhaus haben. Hörte auch lange nichts, da keine Post geht. Wir können auch nicht nach Nbg fahren, nur 12 km dürfen wir in den Umkreis gehen. Mich gelüstet es auch nicht nach Nbg., ich muss erst sehen, einen Büroraum zu bekommen. Möbus war seit März nicht mehr im Geschäft, so muss ich alles von hier aus "derfretten" über Rückert bezw. einen Boten, der die Verbindung mit ihm alle Woche einmal aufrecht erhält! Bin darum froh. Im Geschäft sind natrl. grosse Verluste, da das Kriegsschädenamt nichts ausbezahlte, doch die Hauptsache ist mir, dass ich jetzt weiss, was mir fehlt, dass es heilbar ist (ich wurde 7 Wochen falsch behandelt!). Bin ich wieder auf der Höhe, werde ich schon irgend etwas kleineres schaffen! Von Steglich weiss ich bis dato nichts, Erlangen erlitt keine Verluste und Steglich war nicht Parteimitglied. Becking dürfte es diesbezl. weniger rosig haben!! Von meinen Wiener Freunden höre ich nichts. Nun zu Ihrer Arbeit: es würde mich freuen, wenn alles gerettet wäre und wenn Sie an der Fertigstellung arbeiten mögen und können. Ich werde Ihnen einen Trost senden, sobald eine sichere Möglichkeit dazu sich findet. Ebenso werden Sie Geld brauchen, aber ich weiss nicht, was ich schulde und bitte um Mitteilung, Mit dem Versenden wirds natrl. vorerst noch nichts werden.

Sollten Sie Lust haben, zwei neue Clavichorde für mich zu bauen, bäte ich Sie darum, die Maasse legten wir ja schon fest, bezw. ich lasse Ihnen, da ja Briefwechsel darüber b.a.w. unmöglich ist. völlig freie Hand. Wählen Sie eben eine Länge, die einen halbwegs guten Baßß ergibt. Das Holz dazu: erbitten Sie von Dr. Hässler und übergeben ihm dazu beiliegenden Brief. Denn ich kann ja derzt. nichts senden. Resonanzholz habe ich gerettet, auch Ahorndickten, etwas Buche, Nuss, Eibe, Linde. Was aber in Nbg noch lag total verbrannt. Es waren Brandstrahlbomben, die nochmals in 24 gingen und in 27. Die Maschinen Kirchner und Teichert sind verloren, die kleineren verlagert. Schreiner Krauss ist total zerstört, er selbst heil. Schlosser Schramm total zerstört, er im Krieg. Arch. Siegel ausgebrannt. Falls Sie Material für die Clavichorde brauchen käme Markneukirchen Carl August Schuster, Gerichsstr. 10 infrage, der auch die übersponnenen Saiten liefern soll. Meine el. Spinnmaschine vermutlich ausgeglüht, Motor wahrschl. kaputt. Ich würde mich freuen, wenn Sie meiner Anregung betr. Clavichordbau Folge leisten würden. Bitte dann auch eine Konstruktionszeichnung freundlich dazu anzufertigen, wenns geht ein Foto des Innenbaues.

Sobald regulär Post geht erbitte ich Ihre freundliche Mitteilung, dann kann ich Ihnen auch Spiritus, Leim und evtl. sonst Nötiges senden, viell. kann Haessler etwas Leim leihweise stellen, ich habe meinen Leim gerettet. Zum Glück, denn was noch im Keller Jahnstr. 27 war, stahlen Polen und Italiener gemeinsam mit meinem neu angeschafften Handwagen, dazu ein Volksgenosse meinen schönen Schleifstein. Vorerst können wir im Theater, wo man mir einen Raum einräumte, reparieren, nächstes ist dann, dass ich einen Büroraum in Nbg finde, nächstes dann Wohngelegenheit für Luise und mich. Soviel für heute! Bitte berichten Sie mir, ob Langhammer und Flemming wieder arbeiten und wies bei Blüthners geht u. bei Mannborg. Indessen Ihnen, lieber Herr Marx die herzlichsten Grüsse von mir und Luise, alles Gute einstweilen von Ihrem getreuen

MozartsInstrumente, do.Copien heil".

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1945,06,13
Schreibort
Hersbruck