"Lieber Herr Doktor Rück,
es hat mich aufrichtig gefreut, von Ihnen ein Lebenszeichen zu bekommen und zwar ein so temperamentvolles, daß ich daraus auf Ihre nach wie vor ungebrochene Vitalität schließen kann.
Das Mißverständnis mit dem Mozart-Clavichord ist dadurch entstanden, daß Sie mir seinerzeit Photoaufnahmen von der Restaurierung eines Clavichords überlassen haben, bei dem der Stimmstock zweimal ausgedübelt wurde, d.h. der Resonanzboden zweimal erneuert wurde. Diesen Photos war auch eine Aufnahme des bekannten Zettels beigelegt, auf dem Mozarts Witwe bescheinigt, daß ihr Mann seine letzten Werke auf dem Clavichord komponiert hat. Daraus habe ich geschlossen, daß die Photos zusammengehören, d. h. die Aufnahmen der Restaurierung sich auf Mozarts Clavichord beziehen.
Nun, so schlimm ist die Sache nicht, weil meine Anmerkung nur besagen will, daß die Resonanzböden erneuert werden mußten, wenn ihre Spannkraft nachließ. Das ist generell gemeint, nicht nur speziell in Bezug auf Mozarts Instrument.
Der Ausdruck 'Brücke' wurde zur Bezeichnung der Leiste gebraucht, welche den Hohlraum unter dem Resonanzboden von der Tastatur trennt und auf die sich der Resonanzboden links stützt. Daß die historischen Clavichorde mitunter noch recht gut klingen können, will ich nicht bestreiten; ich bestreite nur, daß sie so klingen können wie damals, als sie noch 'jugendfrisch' waren.
Ich habe seit jeher meine Aufmerksamkeit den noch nicht restaurierten Clavichorden zugewendet und die Magazine aller möglichen Museen durchgestöbert. Dabei habe kein einziges historisches Instrument gesehen, bei dem die Rippen des Resonanzbodens auf die Brücke, bzw. auf den Stimmstock gestützt waren. Dagegen ist das meistens der Fall bei restaurierten Instrumenten. Der Restaurator der Sammlung P. de Wit, Hartmann, Marx und andere haben die Rippen gestützt, haben sie stützen müssen, weil ihnen nichts anderes übrig blieb: ein alter Resonanzboden, der nicht mehr genug elastisch ist und den Saitendruck dennoch zu tragen hat, muß eben gestützt werden. Daß dabei der ursprügliche Klang verloren geht, kann nicht geleugnet werden. Der ursprügliche Klang geht aber auch dann verloren, wenn man die Rippen nicht stützt, weil keine Decke ewig hält.
Wenn wir auch manche recht gute alte Clavichorde haben, so haben wir dennoch keines, auf dem man mit Streichinstrumenten alter Mensur musizieren könnte. Auch habe ich kein altes Clavichord gefunden, auf dem man Stücke wie etwa die F-dur-Sonate aus der ersten Sammlung für Kenner und Liebhaber von Ph. E. Bach gut herausbringen könnte. Das ist alles, was ich sagen wollte.
Zu meinem Aufsatz wurde ich angeregt durch Besuch der Instrumenten-Ausstellung bei den diesjährigen Musiktagen in Kassel. Als ich die ausgestellten Clavichorde besichtigte und prüfte, habe ich das Gefühl gehabt, mich in einem Mißgeburten-Kabinett zu befinden.
Ich habe mich lange mit Dem Herrn Scholz unterhalten (der nach seinen eigenen Worten nach Kassel gekommen war, um mich zu hören). Er hat mir gestanden, daß es ihm noch nicht gelungen sei, ein Größeres Clavichord zu bauen, das guten alten Instrumenten einigermaßen gleicht. Dasselbe hörte ich auch von anderen ehrlichen Instrumentenmachern. Die Glanz-Zeiten des Clavichordbaues sind genau so vorbei wie die Glanzzeiten des Geigenbaues, wobei man heute noch viel eher eine gute Geige anzufertigen versteht als ein einigermaßen brauchbares Clavichord. Wenn ich pensioniert bin, so werde ich vielleicht meine Sterbebettgeheimnisse veröffentlichen, d.h. jene alte Quellen über den Clavichordbau, die ich in langähriger Arbeit ausgestöbert habe und die noch ganz unbekannt sind. Sie werden den Instrumentenmachern zwar nicht helfen, bessere Clavichorde zu bauen, können sie aber vor Fehlern bewahren, die heute gemacht werden.
In alter Verbundenheit grüße ich Sie und Fr. Luise herzlich. Auch meine Frau schließt sich an. // Ihr // [handschriftl.] AKreutz
P. S. Vor etwa einem Jahr wollte mich Herr Haid für einen Clavichordabend engagieren. Ich habe ihm abgesagt, um Sie nicht zu ärgern."