NL Rück, I, C-0482d

Lieber Herr Doktor,

haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief und die Lebkuchen. Letztere waren ganz überflüssig, denn ich bin in Truppenverpflegung und leide durchaus keine Not.

Aus Ihrer Beschreibung der Schäden beim letzten Angriff sehe ich, daß Sie noch Glück im Unglück hatten. Möge Sie Gott auch in Zukunft vor dem Schlimmsten bewahren!

Auch bei mir sieht es ähnlich aus: unsere Wohnung ist verhältnismäßig verschont geblieben, obwohl ringsherum alles in Trümmern liegt. Meine arme Frau führt z. zeit ein wahres Hundeleben, denn in Stuttgart gibt es weder Wasser noch Licht. Das Gaswerk ist durch 18 schwere Bomben so zertrümmert, daß bis zum Kriegsende kein Gas mehr geliefert wird.

Beim letzten Angriff hat meine Frau 13 Stunden ununterbrochen Verwundete verbunden, bis ihr vom langen Stehen die Beine ganz geschwollen waren. Ja, das sind schlimme Zeiten!

Auf die Beschreibung des Cl. aus dem Kinsky-Katalog bin ich sehr begierig. Diesen Katalog konnte ich im Frieden trotz eifrigen Suchens nicht auftreiben.

Daß die Verwendung des Spiegelahorns ein Merkmal alter Instrumente ist, habe ich nicht gewußt. Die italienische Mensur ist kein sicheres Zeichen des Alters, weil sie noch im 17. Jahrhundert im Gebrauch war (allerdngs verwendete man meistens 3-4 Stege). Bei Mersenne (1628 [sic!]) findet man übrigens auch eine Abbildung eines solchen Clavichords.

Was mich stutzig macht, ist der Umfang des verbrannten Clavichords. Die Tastatur reicht bis e3, und einen solchen Umfang hatten diese Instrumente in der Regel nur gegen Ende des 16. Jahrhunderts.

Ich glaube, daß man das Alter des fraglichen Instruments nie ganz sicher bestimmen wird.

Vielleicht gibt da die Rosette einigen Aufschluß? Auch die Schnitzereien an der Tastatureinfassung müssten von einem Kunsthistoriker untersucht werden.

Habe ich Ihnen schon geschrieben, daß ich in Breslau eine ganz unbekannte und sehr schöne Abbildung des Silbermann'schen Cembal d'amour (Doppelclavichord) entdeckt habe? Bekannt sind nur zwei Abbildungen: 1) in der 'musica mechanica' von Adlung (schlecht!) // 2) aus Matthesons Nachlaß in der Hamburger Universitäts-Bibliothek.

Meine ist sehr deutlich und sauber in Kupfer gestochen. Ich war ihr mehrere Jahre auf der Spur und fand sie endlich in der Breslauer Universitätsbibliothek in einem Schmöcker aus dem Jahre 1723. Das Photo, welches ich anfertigen ließ liegt momentan auf dem Lande. Sollte der holde Frieden ausbrechen, so kann ich Ihnen damit dienen.

Was die Sardellenpaste anbelangt, so muß ich leider sagen, daß meine Quelle augenblicklich erschöpft ist. Sobald ich wieder etwas auftreiben kann, schicke ich Ihnen umgehend.

Daß Sie von der Arbeit in der Rüstung befreit wurden, freut mich sehr, denn Sie würden in einer Fabrik völlig auf den Hund kommen mit Ihrer Gesundheit!

Leben Sie wohl. Möge Sie Gott weiterhin beschützen und Ihnen Kraft geben, die Strapatzen der heutigen Zeit zu ertragen.

In unwandelbarer Treue und Verbundenheit grüße ich Sie herzlichst.

Ihr // AKreutz

Bitte grüßen Sie auch Prof. Steglich, Herrn Haid und Frl. Luise."

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1944,10,31
Erwähnte Objekte
Klavichord
Tasteninstrumente
erwähnt als
Detailinformation(en)
Tasteninstrumente
erwähnt als
Foto(s)
erwähnte Institutionen
erwähnt im Zusammenhang
Sammlungsbestand
Literaturreferenz
Kinsky 1910
Mersenne 1636
Adlung 1768