"Lieber Herr Doktor,
herzlichen Dank für Ihren Brief. An meinem Schweigen ist nicht die eingetrocknete Tinte schuld, sondern der Katalog von Dr. Josten [Josten 1928].
Wenn Sie wüssten, wieviel Zeit und Mühe ich auf die Suche nach diesem Biest schon verwendet habe, würden Sie staunen. Das Landesgewerbemuseum besitzt kein Exemplar mehr, da der ganze Vorrat verbrannt ist. Der Bibliothekar des Museums, Dr. v. Seeger, den ich gut kenne, hat sich auch alle Mühe gegeben, ein Exemplar aufzutreiben, doch ohne Erfolg. Ich habe versucht, seine Tochter, die bei uns auf der Hochschule studiert, zu verführen, denn sie besitzt, wie ich erfahren habe, den Katalog, den ihr vom Vater geschenkt wurde. Ich bin aber alt und häßlich geworden und kann eben nicht mehr junge Mädchen verführen. Jedenfalls gibt sie ihn nicht her.
Ich habe auch auf anderen Wegen versucht, den Katalog aufzutreiben - auch da ist es nichts geworden.
Allmählich ist bei mir die Jagd nach diesem Büchlein schon zur Manie geworden.
Der Göhlinger und die Auerbach sind mir verloren gegangen. Ich kenne den Mann von der Frau Auerbach (der Bratschisten und Komponisten Schröder) und wollte durch ihn versuchen, ein Exemplar der Dissertation zu bekommen; es stellte sich aber heraus, daß seine Frau irgendwo in Norddeutschland verschollen ist. Sie war als Organistin auf dem Lande tätig; seit dem Einmarsch der Russen fehlt von ihr jede Spur.
Wie Sie sehen, schlafe ich trotz meinem Schweigen nicht, aber heutzutage braucht man für alles unendlich viel Zeit und Mühe. Das, was man aber erreicht, ist meistens gleich Null.
Wie steht es mit Ihrer Gesundheit? Wie weit sind Sie mit dem Aufbau des Geschäfts? Hat Schott etwas von sich hören lassen? Hat Maendler seine Clavichorde fertiggebaut?
Bei mir gibt es wenig Neues. In der Hochschule habe ich sehr viel zu tun, auch die Konzerte laufen an, seitdem ich die Lizenz bekommen habe. Im Herbst werde ich außer Stuttgart noch voraussichtlich in Karlsruhe und in Freiburg/Br. spielen. Hier habe ich schon zweimal gespielt und komme im Juli wieder dran (Engagement für ein Konzert im Schloß Hohenheim)- Auch meine Tätigkeit als Herausgeber habe ich aufgenommen: Schott sticht zur Zeit ein neues Heft mit Stücken von Ph. E. Bach.
Das ist alles, was ich zu berichten habe. Meiner Frau geht es soweit gut, nur muß sie, wie alle Ärzte, bis zum Umfallen arbeiten. Auf den Urlaub freuen wir uns schon heute.
seien Sie, sowie Herr Haid und Frl. Luise herzlich gegrüßt von uns beiden. // In alter Treue [handschriftl.] Ihr AKreutz".