"Mein lieber Herr Kreutz!
Ich danke herzlichst für Ihren l. Brief vom 25.11.45, dem ich entnahm, dass, Sie Ihrem vielgeliebten Clavichord treu blieben, und sonst in Erwartung der kommenden Dinge a.d. Hochschule sind. Nun hoffentlich ist diese Frage inzwischen zufriedenstellend gelöst worden, damit Sie wieder beruflich tätig sein können. Dass all Ihre Noten verbrannten ist ein schwerwiegender Verlust. Wie gehts Ihrer Familie? Ich würde mich freuen, darüber Gutes hören zu dürfen.
Bei mir steht die Diagnose fest: es ist eine Angina abdominalis, verbunden mit Darmspasmen und einer Sygmoitidis, oder wie diese Störung heisst: Ihre Gattin wird Ihnen darüber Vortrag halten. Ich bin noch im Krankenhaus und will darin bleiben, bis ich arbei[ts]fähig sein werde. Ich kann Gottlob sagen, dass seit ein paar Wochen eindeutig eine Besserung zu verspüren ist: die Schmerzen sind weniger aggressiv geworden, ich habe schon einzelne ziemlich schmerzfreie Tage gehabt, kann und darf täglich eine Stunde im Freien mich ergehen und fange an, im Essen weniger empfindlich zu werden. Nur Kohlehydrate sind noch mein geschworener Feind. Ich bin hier gut versorgt, Luise kommt jeden 2ten Tag, mit dem Geschäfte habe ich täglich Verbindung, oft mehr, als mir lieb ist! So kann ich hoffen, dass allmählich eine Ausheilung eintritt von dieser höchst listigen Sache. Darf auch schon maschinenschreiben, wie ds. Zeilen bezeugen. Allerdings, krachdürr bin ich noch immer: kam mit 55,3 Kilo herein und man hat mich jetzt seit 2.10. auf 61 Kilo hochgebracht, was ich immerhin allmählich an etwas zunehmender Kraft spüre. Aber es fehlen halt noch rund 20 Kilo, und diese sind eben nicht so rasch "beizuschaffen"! Arbeitsfähig wäre ich natrl. noch lange nicht, aber die Aussicht auf beginnende Ausheilung allein wirkt fördernd.
Meine Ruinen stehen noch, doch ist für Jahnstr. 27 im Prinzip ausnahmsweise aus kulturellen Gründen der Aufbau genehmigt, derzt. werden die Pläne ausgearbeitet. Wann und wie dann gebaut wird ist eine erst noch finanziell zu lösende Frage! Doch soll mir schon in Bälde Material zugewiesen werden. Haid ist auch fest dahinterher, rennt im übrigen wie wild gewordener Stier den ganzen Tag umeinander, u[m] das Geschäft allmählich in geordnetere Bahnen einzulenken. Bei mir arbeiten 2 Konzertstimmer und mein Schreiner, alle allerdings ausserhalb des Hauses, da ich noch keine Werkstatt habe. Das Behelfsheim im Garten fasst 10 Qm Büro und 5 Qm Lagerraum! Doch hoffe ich gegen Sommersbeginn auch die Werkstätte in Schwung zu bekommen. Die Maschinen wurden ausgegraben, sind repariert die Motoren sind mir zugesagt: meine Maschinen sind ja Goldeswer[t,] weil nirgend neue zu haben wären! Hobelbänke gibt mir Orgelfabrikant Steinmeyer/Oettingen, den Schleifstein besorgte Hans Schiedmayer: sind alles notwendigste Utensilien!
Ich würde mich herzlich freuen, wenn wir uns wieder einmal sprechen könnten. Hans Schiedmayer will uns ja in Bälde per Auto in Nbg besuchen. Wäre dies nicht eine Gelegenheit mitzufahren[?] Ich glaube, Sie könnten im Hotel Reichshof übernachten. Ich wohne wenn ich entlassen werde bei Freund Siegel, Katzwangerstr. 71, wo ich und Luise je ein Zimmer haben-- welcher Platz natürlich uns nicht ausreicht. Aber man muss sich einschränken.
Marx ist leider so schlecht ernährt- die alten Leut in der russ. Zone bekommen ja nur Brot und Kartoffeln - Humanität?! - dass er nicht mehr für mich arbeiten kann, mindest nicht, bis sich die Zuteilung dort bessert. Für geistig arbeitende ist in die er Zone wenig Interesse, sie stehen inder letzten Nahrungsstufe. So kann ich ihm auch kein altes Clavichord zum Spielbarmachen senden, abgesehen, dass die russ. Zone ja hermetisch abgeschlossen ist. Neue Clavichorde: ob Neupert solche macht, weiss ich nicht. Angebl[ich] arbeitet seine Fabrik. Und Maendler ist zwar total ausgebombt, abe[r] er ist im Begriffe, eine Werkstatt aufzumachen und hat auch ein neues Calvichordmodell in der Zeichnung fertig: er arbeitet im eiskalten Wintergarten seines Wochenendhauses mit 73 Jahren und halb erstarrten Fingern an dieser Zeichnung. Die nächste Frage ist, wer die Claviaturen macht, die ich für lösbar halte, so dass dann die Aussicht, den Prok. von Schott zu beliefern immerhin in absehbarer Zeit gegeben wäre.
Wäre es wohl möglich, dass ich durch Ihre Vernittlung durch Verlag Schott meinen arg gelichteten Notenbestand auffüllen könnte? Vor allem läge mir daran, alle die von Ihnen herausgegebenen so entzückenden kleinen Stücke wieder zu bekommen. Ferner fehlen mir Mozart Klavierwerke (Sonaten habe ich), Schubert, Beethoven Sonaten und Stücke, Schumann, Bach Söhne (habe ich rein gar nichts!), leichter Jos. Seb. Bach, Haydn, dann Chopin Walzer, Präludien, Nocturnes, Grieg (allerdings Petersverlag), Mendelssohn, Brahms, Kirchner, Jensen. Ein Blütenstrauss: wenn auch nur einige bescheidene Blümlein abfielen wäre ich dankbar. Denn mein Notenmaterial verbrannte fast zur Gänze. Vielleicht könnten Sie da ein gutes Wort einlegen.
Aus der Schweiz waren mir ein paar Clavichorde historische versprochen, die seit Jahren für mich reserviert sind.
Aber deren Transport und Bezahlung ist b. a. w. unmöglich. Ich behalte jedenfalls Maendlers Produktion -sobald man von solcher reden kann- im Auge. Dass in Mainz ein Buch über Cembalo u. Clavichord [Wörsching 1946a] erscheinen sollte schrieb ich Ihnen früher schon. Nun drücke ich Ihnen allen die Hand in alter Freundschaft, Grüsse herzlichst, Luise schliesst sich an und bin wie immer Ihr altgetreuer".