"Lieber Herr Doktor,
herzlichen Dank für Ihren Brief v. 22. Juni, der mich maßlos betrübt hat.
'Auch Du, Brutus!', kann ich nun mit vollem Recht ausrufen.
Warum haben Sie sich von dem alten Marx, der sein Handwerk glänzend versteht, doch von Clavichorden nur eine schwache Ahnung hat, verführen lassen? Dadurch haben Sie leider den ausgetretenen Pfad jener Fälscher historischer Instrumente beschritten, über die Sie früher selbst geschimpft haben.
Sie können sich denken, das[s] meine Ausfälle die Berippung des Mozart-Clavichords betreffen, die nun leider falsch ausgeführt ist.
Wie konnten Sie nur in das schöne Instrument 3 Rippen einbauen, die dahin gar nicht gehören?
Wenn Sie sich noch erinnern, habe ich Ihnen seiner-Zeit blos nach den Photographien geschrieben, daß das Mozart-Clavichord wahrscheinlich keine Querrippen, sondern lediglich eine dem Steg parallel laufende Rippe hat. So war es auch wahrscheinlich und so musste das Instrument gemacht werden, wenn auch der Boden alle 15-20 Jahre durchgedrückt wird.
Das ist ja das große Geheimnis des Clavichordbaues, daß es (von erstklassigen Meistern) Instrumente gibt, die einen verhältnismäßig kleinen Boden haben, der den Druck der Saiten gut aushalten könnte und trotzdem 3 Rippen hat (wie Ihr Silbermann-Instrument) und dann auch Clavichorde, die bei großem Boden keine Querrippen aufweisen und bei denen deswegen alle 15-20 Jahre, oder auch bälder, der Boden neu gemacht werden mußte. Das ist der Fall bei dem Mozart-Instrument. Nicht umsonst sind bei ihm Spuren solcher Reparaturen vorhanden. Daß sie nach dem ursprünglichen Muster gemacht wurden, zweifle ich gar nicht (die neue Wirbelanordnungen sprechen nicht dagegen). Man muß bedenken, daß diese Reparaturen noch zu Mozarts Zeiten gemacht wurden, also noch zu jener Zeit, als der Clavichordbau noch im Schwung war und die lebendige Überlieferung noch nicht abgerissen war.
Daß der Boden des Instruments im Baß etwas stärker ist, erklärt sich nicht durch Nachlässigkeit der Repa[ra]tur, sondern ist sicher Absicht.
Im Baß darf der Boden stärker sein, besonders bei schwacher Berippung, denn im Baß hat er weniger Stütze als im Diskant, wo er kürzer ist (ähnlich, wie eine lange Brücke stärker sein muß als eine kurze).
Nun ist das Instrument verdorben und wird nicht so wie ursprünglich klingen; besonders ist zu befürchten, daß die Baßlage undeutlich wird.
Nachträglich ist es natürlich leicht zu schimpfen. Bei mir ist es aber nicht der Fall: ich habe Ihnen beide male blos nach dem äußeren Aussehen der Instrumente, die ich nicht einmal in natura gesehen pder abklopfen konnte, im voraus die Berippung angezeigt. Bei dem Silbermann-Instrument habe ich ganz richtig 3 Rippen vermutet (trotz des kleinen Resonanzbodens) und beim Mozart-Clavichord habe ich auf eine ganz schwache Berippung getippt (trotz der großen Decke).
Meine Vermutungen haben sich als richtig erwiesen und das sollte Ihnen als Beweis dafür dienen, daß es im Clavichordbau tiefe Geheimnisse gibt, die man nicht ohne Weiteres außer Acht lassen darf.
Das 'Warum' ist so kompliziert, daß ich es Ihnen nicht im Rahmen eines Briefes andeuten kann. Es gehört auch zu meinen tiefsten, auf langjährigen Studien begründeten 'Sterbebettgeheimnissen'.
Nun ist das Unglück schon geschehen. Gut ist es wenigstens, daß der Zustand des Instruments vor der Restaurierung in Photobildern fixiert ist; eines Tages wird man vielleicht die hinzugefügten Rippen entfernen können.
Das Richtige wäre: einen neuen aber genau gleichen Boden aus gutem, nicht ermüdetem Holz einzubauen, das dem Druck der Saiten standhalten würde. Alte, durchgedrückte Böden zu pressen und wieder einsetzen kann man nur bei Cembali oder Hammerflügeln; bei Clavichorden bedeutet das vergebliche Mühe.
Nun will ich schließen. Mit tief betrübtem Herz muß ich feststellen, daß wir auf dem Clavichordgebiet völlig auseinandergegangen sind. Rein menschlich aber bin ich nach wie vor in alter Treue und alter Freundschaft // Ihr // AKreutz
Die Photos des Mozart-Clavichords erwarte ich mit Ungeduld. Schreiben Sie mir bitte, wieviel ich Ihnen schuldig bin, einschließlich der Kosten für die beiden Wiener Photos.