NL Rück, I, C-0873h

"Lieber Herr Professor Steglich!

Ich danke für Ihre Briefe (durch Rückert und Fleischers Güte) aufs beste. Die Kulturinstrumente gab ich Haid als besonders vordringlich an. Er vergibt jetzt die Stimmungen, damit ich entlastet werde. Höchste Zeit ist dies, denn ich mache keine Fortschritte, eher gehts wieder schlechter. Ich bekam eine grausige Diarrhoe verg. Samstag, die mich, wo ich schon so so elend beieinander bin, noch mehr heruntergebracht hat, so dass ich mich recht kurz fassen muss. Heute bäte ich Sie um freundliche recht baldige Auskunft über folgendes: der Internist ist doch Jamin in Erlangen. Szt war aber die Rede von einem Naturheilkundigen Professor, der ebenfalls als Internist kommen sollte. Wer ist dies jetzt? Bezw. wurde dieser Streicher'sche Plan überhaupt je durchgeführt? Ich überlege nämlich sehr, noch einen zweiten Mann zuzuziehen, nachde meine gesundheitlichen Fortschritte so wenig Erfolg zeitigen! Ich dachte auch an den Nerven-Menschen: wie heisst dieser? Und wann haben diese Leute Sprechstunden? Insbesondere Jamin? Bezw. auch, welcher Ruf geht J. als Diagnostiker voraus? Ich weiss leider so gar nichts darüber. Nachdem mein Leiden jetzt im Beginn des 5ten Monats andauert will ich alles versuchen, eine Besserung irgendwie herbeizufünren. Selbst wenn ich zum Schluss noch bei einem----Heilpraktiker landen müsste!! Bitte behandeln Sie meine Anfrage strengst vertraulich!

Ich komme in kommender Woche wieder zu Bingold und will mit diesem verschiedenes besprechen bez. meiner Krankheit: vom Erfolg dieser Besprechung mache ich meine weiteren Entschlüsse abhängig.

Nun zu Nemeskei: bisher bezog er die Wohnung Theodorst 3 nicht, auch geschah dort nichts, sie herzurichten. Deshalb eilen evtl. Entschlüsse, was ich ihm hinstelle gar nicht. Ich bin offen gestanden auch derzeit nicht in der Stimmung, mich mit dem wiederaufbau eines Konzertleben in Nürnberg zu beschäftigen, da wir mit solch ganz fundamentalen Schwierigkeiten im Geschäft zu tun haben, dass uns aber auch jeglicher Idealismus gründlichst vergangen ist.
Auch Haid ist mehr als pessimistisch geworden, er sieht die Zukunft des Klaviergeschäft in düstersten Farben. Wir haben ja bis heute aber auch nicht die mindeste Hilfe seitens der Stadt, uns einen Raum zu beschaffen! Die Oper will uns wieder draussen haben: gut. Nemeskei drängt, die Konzertflügel und Cembalo nach Nbg zu bringen. Ich gab soeben Haid als Richtlinie, dass ich die Instrumente nur dann nach Nbg nähme, wenn die Stadt einen anständigen Aufbewahrungsraum zur Verfügung stellt und evtl. die Amerikaner ihn als OFF LIMITS erklären. Sonst bleiben die Konzertinstrumente in Pottenstein und mir ist dann ganz piepe, auf was man Konzerte spielen will! Haid renn[t] sich die Füsse seit anf. August wund, ein---Behelfsheim zu bekommen, das wir kaufen und in den Garten 24 stellen als--Büro und--Werkstatt. 25 ganze Quadratmeter! Wenns nicht zum Heulen wäre, wärs zum Lachen. Ferner sucht er eine Baracke mit etwa 120 Quadratmeter, die anstelle der alten Kithilwerkstatt kommen soll und dann das 'Pianohaus' Rück repräsentieren wird! Bittere Ironie! Früher hatten wir 1000 Qm Raum. Der Aufbau dieser Baracke wird allein schon ein Kunststück sein, das auch nur der Haid zusammenbringt. Schon fürs Fundament gibts in ganz Nürnberg auch nicht einen Sack Kalk oder Cement!! Dabei redet der Bürgermeister Treu öffentlich davon, er hoffe, dass Nürnberg in nicht allzuferner zeit in neuem Glanze auferstehen werde! Er möge recht haben, ich wünsche es. Vorerst aber merkt man davon noch nicht das geringste. Also: unsere Sorgen sind jetzt: Raum, raum und wieder Raum! Deswegen muss ich zuvörderst die idealen Vorhaben auf Eis legen, leider... aber schließlich haben wir den Krieg verloren!

Meine neue Kontoristin läuft sich ebenfalls die Füsse wund, bei dem fulminanten 'Fortschritt'  in der Nbg'er Straßenbahn kein Wunder!

Sie werden sagen: der ist heut mächtig 'geladen'!

Kein Wunder, wenn alles, was man anfangen möchte auf die unendlichsten Schwierigkeiten stösst, hört eben einmal die gute Laune endgiltig auf uns macht einem tiefen Pessimismus Platz.

Nun hätte diese Epistel wenig wert, wenn ich nicht zur Hauptsache käme: Konzertflügelstellung nach Erlangen! Erlangen muss leider mit Nürnberg auch auf Flügel solange verzichten, als nicht die Raumfrage in Nbg eindeutig und sachlich befriedigend gelöst wird. Insoferne könnte ein von Ihnen oder dem Kulturamt abgefasster Brief an mein Haus nicht schaden, der uns als Rückgrat unserer Verhandlung mit der Stadt dienen könnte. Immerhin mache ich jetzt schon vordringlich darauf aufmerksam, dass bis auf weiteres mit Flügel- oder Cembalostellungen nach Erlangen nicht gerechnet werden kann. So leid mirs tut: aber ich habe die amerikanischen Luftbomber nicht bestellt, damit sie mein letztes Haus Jahnstr. 27 in Brand legten, ausgerechnet 4 Wochen vorm Einzug der Amerikaner. Die Baracke, die wir aufstellen, kann überdies, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, nicht als Unterstellraum für Konzertflügel dienen. Sie muss meinen eigenen Zwecken dienstbar sein, nicht für Konzertzwecke, die die Öffentlichkeit angehen.

Soweit für heute! Ihnen herzlichste Grüsse! Antwort erbeten nach Nbg, Jahnstr. 27, oder hierher, oder hierher, evtl. über die Kirche.

Wie immer Ihr".

 

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1945,08,10
Schreibort
Hersbruck
erwähnte Institutionen
erwähnt im Zusammenhang
Wiederaufbau
Wiederaufbau Kulturleben
erwähnt im Zusammenhang
Standort Musikinstrument(e)
Auslagerung
Depot