"Lieber Herr Doktor,
endlich muß ich doch daran gehen, den Berg von Briefschulden, der sich in den letzten Monaten angehäuft hat, abzutragen, oder doch wenigstens damit anzufangen. Dieser Anfang sei mit Ihnen gemacht, denn hier liegt es mir besonders schwer auf der Seele, daß ich so lange Zeit nicht zum Schreiben kam. Sie haben sich so um das bewußte Material für den Zahndoktor bemüht, und ich habe Sie so mit der Antwort sitzen lassen. Das fällt mir schwer aufs Gewissen. Inzwischen wird jenes Material wohl entschwunden sein. Nun, da muß sich der Zahnarzt eben sonstwie, mit anderem Material behelfen. Er war übrigens dazumal wieder einmal im Wehrdienst, und ich bin auch jetzt im Harz noch nicht hingekommen - 25 Minuten Hinweg, ebensoviel zurück, in der Mitte die Wartezeit und die Behandlung: das hätte mich immer einen ganzen Vormittag gekostet, und ich hatte immer und hab jetzt noch mehr zu tun als mir lieb ist. Haben sie herzlichen Dank für Ihre vielen Bemühungen um jene Sache. Ich denke, das was Sie mir neulich schickten zusammen mit dem[,] was ich früher schon hingegeben hatte, wird genügen, wenigstens die Fassade einigermaßen hochherrschaftlich zu machen. Die andere Front braucht ja nur solide, nicht gerade schön zu sein.
Wie mag es Ihnen in diesen Wochen ergangen sein? Hoffentlich hat die Behandlung von Kauders recht gut angeschlagen, so daß Sie eines schönen Tages wieder in alter Frische in Nürnberg auftauchen werden.
Heute bekam ich ein Prospekt-Heft von J.C.N. [Neupert] 'Werkstätten für historische Tasteninstrumente' geschmackvoll ausgestattet, das muß ich schon sagen. Da ist Schle Michalke sowohl im Bild als auch mit einem frommen Spruch darin - hiernach besitzt sie ihr 'Bach'-Modell seit Juli 35! - In dem Prospekt heißt es unter anderm, daß die Firma N. in ihren Rekonstruktionen 'vollkommen das originale Klangbild wahrt', 'die Mechanik aber, das Spieltechnische, bildete sie mit allem Können der heutigen Instrumentenbaukunst aus', und so ergab sich, daß die 'historischen' Instrumente unversehens ganz zeitnahe wurden'!! Nee so was! - Ein gewisser Dr. H. Wilfert (ist das nicht gar ein Bekannter von Ihnen?) schwärmt von seinem Neupertschen alten Hammerklavier, dessen Ton 'für Mozart und die Romantiker' 'geradezu ideal' sei - der hat noch nicht gemerkt, daß da ein kleiner Unterschied besteht!
Nicht vergessen möchte ich aber, Ihnen - allerdings nun sehr post festam! - für die Überlassung des Erards [MIR1125] zu der Nürnberger Rossini-Feier zu danken. Mir fiel dazumal ein, daß das doch wenigstens mal eine gute Gelegenheit wäre, das Instrument in Nürnberg vorzuführen zumal da ich etwas von Rossini hatte, was ganz famos darauf klang. Ich freute mich, daß die Sache so schön klappte. Zwei kleine Besprechungen - alles, was ich erwischen konnte - lege ich bei. Der Kurier ist mir leider entgangen. Vielleicht aber hat Herr Haid Ihnen schon dessen Besprechung geschickt, denn etwas wird die Schneiderin schon gebracht haben - wenn es auch nicht gerade viel gewesen sein wird.
Die umfänglicheren Zeitungsbeilagen dieser Epistel werden Sie gewiß auch interessieren. Ich bekam sie von meiner Schwester aus Halle geschickt. Da sieht man doch, was der gelehrige Dr. Koch alles zusammengebracht hat. Ich wollte eigentlich vor Beginn des nächsten Semesters mal zu meinen Hallischen Verwandten fahren, aus Familien-Gründen. Bei dieser Gelegenheit muß ich mir doch mal ansehen, was das in Halle geworden ist. Hoffentlich kommt die Reise noch zustande! Ich wollte eigentlich fahren, sobald meine zweite KzM-Rede gestiegen ist: die erste über Höller war vorigen Sonntag, die zweite über Gebhard ist am nächsten. Nun ist aber von Partei wegen noch ein Beethoven-Vortrag in Nürnberg am 29. März dazugekommen. Und dann kommt die Osterwoche, wo das Eisenbahnfahren vielleicht noch schlimmer ist als sowieso schon jetzt.
Übrigens: Maendler hat am 22. Mäz seinen 70. Geburtstag, falls Sie das noch nicht wissen sollten!
Daß ich in den letzten Wochen zu allem andern noch die Nürnberger Volksbildungs-Vorträge hatte über Einführung in das Verständnis musikalischer Meisterwerke, hat meine Zeit noch mehr bedrängt. Immerhin: es hat sich ein sehr aufmerksames Publikum zusammengefunden, meistens Kontoristinnen und dergleichen, so daß mir die Unternehmung schon Freude macht. Freilich ist die Rückfahrt nach Erlangen jetzt erst 0.02 möglich, und da gibt es meistens noch Verspätung. Am Mittwoch früh geht es dann 8.20 mit dem Autobus wieder ins Konservatorium. Das ist schon allerhand. Donnerstags kann ich natürlich auch erst nach Mitternacht nach Erlangen zurückfahren. Hoffentlich geht im Sommersemester wenigstens der Halbelfuhrz[ug], wenn schon der Autobus nicht fährt. Auch mit der Hindenburghochschulvorlesung, bzw. mit der dortigen Hörerschaft war ich bis zuletzt recht zufrieden. Und daß ich vorgestern, nach der letzten Vorlesung einen Fliederzweig auf dem Flügel fand, zeugt auch ein bißchen davon, daß sich die Hörer(innen) nicht gemopst haben.
Mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüßen // Ihr // [handschriftl.] R.Steglich."