"Sehr verehrter Herr Doktor!
Vielen herzlichen Dank für Ihren Brief vom 5. Oktober. Daß Sie mein Schreiben vom 3. April samt der Photographie des Beethoven-Flügels erst jetzt erhalten haben, ist wirklich grotesk. Ich bedaure dies umsomehr, als ich Ihnen in diesem Brief für Ihre freundliche Spende der Photoplatten gedankt habe, die Sie uns zugewendet haben.
Es ist nunmehr die Einrichtung getroffen worden, daß die Briefe öffentlicher Stellen [handschriftliche Einfügung: 'ins Ausland'] mit dem Vermerk 'Bescheinigte Amtspost' und dem Amtsstempel versehen werden können. Solche Briefe werden, wie verlautbart wurde, von der Alliierten Zensur ausgenommen. Es ist also zu hoffen, daß künftig hin meine Briefe an Sie nach Nürnberg eine kürzere Laufzeit haben werden. Von Ihren Antworten wird dies allerdings kaum gelten können, da Sie ja Ihre Briefe kaum mit diesem Vermerk versehen können; demgemäß würden die Antworten dann durch die Zensur gehen. Wir haben aber noch gar keine Erfahrung in dieser Beziehung.
Vielleicht ist aber mein Brief, den ich am 4. Oktober mit diesem Vermerk an Sie nach Nürnberg schickte, bereits dort eingetroffen, und Ihnen vielleicht sogar schon nachgeschickt worden. Zur Sicherheit möchte ich aber noch rasch wiederholen, daß ich wahrscheinlich am 19. Oktober abends in Nürnberg eintreffen werde.
Nun wird es mir freilich sehr leid tun, wenn ich Sie, sehr verehrter Herr Doktor, nicht in Nürnberg antreffe, bitte Sie aber, sich ja nicht in Ihren Plänen für Urlaub und Erholung stören zu lassen. Natürlich bin ich außerordentlich dankbar, daß Sie so freundlich sein wollen, mir den Zugang zu Ihrem Hause und Ihren Klavieren unter Führung des Herrn Restaurators SCHOLZ auch in Ihrer Abwesenheit zu ermöglichen.
Ihre Studie [Rück 1956] über die Walterflügel werde ich natürlich genau durchsehen. Hoffentlich bleibt mir für die musikalischen Dinge genügend Zeit. Ich denke vorzugsweise an die Abendstunden.
Sehr dankbar wäre ich, wenn Sie mich gütigst bei Herrn Professor STEGLICH ansagen würden. Ich möchte ja sehr gerne einen Besuch in Erlangen machen, um das Universitätsinstitut und die dortige Aufstellung Ihrer Sammlung kennen zu lernen, und bitte Sie, mir dies auch in Ihrer Abwesenheit zu gestatten! Ich weiß ja nicht, wann ich wieder in Ihre Gegend komme. In meinem Brief nach Nürnberg schrieb ich auch über das Buch in der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde, nach dem Sie mich seinerzeit fragten. Diese Anleitung zur Kenntnis des Fortepianos, die 1824 im Selbstverlag der Gesellschaft der Musikfreunde erschien [Schiedmayer/Dieudonné 1824], umfaßt, wie mir Frau Direktor Dr. KRAUS sagt, 75 Seiten, ist also ein ziemlich umfangreiches Werk. Frau Dr. KRAUS meint, daß man zur Verringerung der Kosten je zwei Seiten zusammen mit Mikrofilm (Format 35 x 55 mm) aufnehmen könnte. Jede Aufnahme kostet einschließlich der Gebühren der Gesellschaft der Musikfreunde Schilling 4.- (vier). Wenn man also je zwei Seiten des Buches zusammen aufnimmt, so ergeben sich 38 Aufnahmen und ein Preis von S 152,- Wenn Sie, sehr geehrter Herr Doktor, hiemit einverstanden wären, so würde ich vorschlagen, daß Herr DUNEITZ sich direkt mit Frau Dr. KRAUS, Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien I. Bösendorferstraße 12, in Verbindung setzt. Frau Direktor Dr. KRAUS isr gerne bereit, dann gegebenenfalls die Aufnahme des Buches durchführen zu lassen.
Die photographischen Aufnahmen in Eisenstadt werden wahrscheinlich ohnehin erst nach meiner Rückkehr von Nürnberg durchgeführt werden können. Ich fürchte allerdings das schlechte Wetter. Je später wir hinausfahren, desto kälter und finsterer wird es ja werden. Leider hat ja das schlechte Wetter heuer viel früher als sonst eingesetzt. Der September pflegt sonst in Wien einer der schönsten Monate zu sein. Heuer ist er durchaus abscheulich gewesen.
Wenn ich Sie, sehr verehrter Herr Doktor, nun doch in Nürnberg vorfinde, so wird mich das gewiß sehr freuen, doch möchte ich in Ihrem Sinne wünschen, daß Sie Ihre Reise ohne Störung durchführen können.
Für Ihr freundliches Anerbieten, ein Quartier zu besorgen, danke ich herzlich. Es wird jedoch, wie ich höre, vom Germanischen Museum aus die Unterkunft für uns geordnet.
So bin ich für heute mit vielen herzlichen Grüßen // Ihr sehr ergebener // [handschriftlich] Victor Luithlen
PS. Mein Aufenthalt in Nürnberg dürfte ungefähr drei Tage dauern."