NL Rück, I, C-970f

"Lieber und verehrter Herr Doktor!

Ich danke Ihnen herzlich für Ihren ausführlichen Brief und sehe mit grossem Interesse Ihren weiteren Nachrichten entgegen über den inzwischen aufgetauchten zweiten Flügel in Wien, ebenso Ihren ausführlichen Bericht über den Flügel im Niederösterreichischen Landesmuseum [heute Rohrau, Haydn-Geburtshaus]. Ich kann mich leider nicht persönlich freimachen, da ich halt noch ein Geschäft habe, das mir den Lebensunterhalt gibt und die Liebe für alte Instrumente immer nur in meiner freien Zeit gepfelgt werden kann. So bin ich auf Ihre liebe Mithilfe angewiesen.

Ich war in den letzten Wochen wieder an meiner lästigen Hautsache im Rückfall erkrankt und konnte mich deshalb der Arbeit über Anton Walter [Rück 1956] noch nicht wieder widmen, umsomehr ich in Salzburg vor 14 Tagen bei Kommerzialrat Bösmüller erfuhr, dass wahrscheinlich das Mozartjahrbuch heuer noch nicht erscheint. Allerdings ist dies noch ungewiss, aber das Wahrscheinlichere ist, dass es erst nächstes Jahr gedruckt wird, was mir sehr angenehm wäre, weil ich dann noch mehr Vergleichsmaterial meinen Studien zugrunde legen kann. Für mich steht fest, dass Mozart's Flügel von Anton Walter gebaut ist. Von allem anderen abgesehen, beweist dies schon die ganz eigenartige Form der Hammerkerne, die bei allen von mir untersuchten Walter-Flügeln völlig identisch ist und die ich bei anderen Flügeln der Epoche - es sind immerhin an die zwanzig - nicht finden konnte. Ich kann natürlich heute unmöglich auf alle Dinge eingehen, die für Walter sprechen, aber nach wie vor ist für mich das Zeugnis der Constanze [Mozart] beweisend, denn die Ausdeutung der Briefstelle durch [Haas?; unleserlich] ist schon sprachlich und mundartlich völlig abwegig.

Ein Zusammentreffen mit Haas und Dr. Fiala in Wien zu arrangieren: Dieser Vorschlag ist ja sicher von Ihnen gut gemeint. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass dabei irgendetwas Neues herauskommen soll, denn bei-den Herren steht ja nicht im entferntesten das Vergleichsmaterial zur Verfügung, dass ich allein schon in meiner eigenen Sammlung habe - und beiden Herren kann natürlich nicht die klavierbautechnische Erfahrung zu eigen sein, die mir und meinen Restauratoren zur Verfügung steht und die wir uns in einem halben Lebensalter mühsam erworben haben.

Inzwischen werden Sie über meinen Freund Karl Duneitz, Linzerstr. 55, wohl das Dutzend Per-Chromo-Platten Perutz für das Kunsthistorische Museum bekommen haben. Als Gegendienst erbitte ich von Ihrer Fotographin eine Auskunft fototechnischer Art:

Vor mir liegen folgende Bilder:

1. Katalog: Klaviere aus 5 Jahrhunderten, Tafel 8, Nr. 54, Hammerflügel von Conrad Graf.

2. Hammerflügel Anton Walter Wien, um 1785, I, 12942.

3. 2-manualiges Cembalo mit Jalousie-Schwelle über der Tastatur.

Alle diese Aufnahmen zeigen die Instrumente perspektivisch so, dass man von oben in das Innere hineinsehen kann. Nun würde mich, wo ich doch alle meine Aufnahmen selbst mache, interessieren die kurze Beantwortung folgender Fragen:

1. Mit welchem Objektivtyp und mit welcher Brennweite sind diese Aufnahmen gemacht.

2. Wenn man derartige Aufnahmen mit schräggestellter Kamera macht, ergeben die Flüsse perspektivisch sogannte stürzende Linien. Sind diese entzerrt bei den Kopien oder ist bei schräggestellter Kamera die Standarde und die Mattscheibe senkrecht gestellt worden?

Letzteres bedingt eine besonders konstruierte Kamera, wie sie z.B. die Linhof-Technika aufweist. Ich selbst habe mir an meiner 18 x 24 Reise-Holzkamera die Standarde und e[i]n Mattenscheibenträger verwinkelbar umbauen lassen.

Es wird Ihre Fotographin interessieren, dass ein Stuttgarter Mechaniker jede Reisekamera in Holz verwinkelbar umarbeiten kann mit besonders geschützten neuen Beschlägen, welche erlauben, die Standarde sowohl wie die Mattscheibe um 30 Grad vor und rückwärts neigen zu können. Mit dieser Vorrichtung kann man bei schräggestellter Kamera trotzdem die stürzenden Linien vemeiden.

Ein ganz ausgezeichneter Kenner aller fotographischen Objektive, der selbst ein Objektivsammlung von 500 Stück besitzt und optischer Prüfer aller grosser deutscher Objektivhersteller ist, meint, derartige Aufnahmen von Instrumenten würden am besten mit einem Objektivbrennweite gemacht, das aus 2 symmetrischen Menisken gebaut ist und eine Brennweite von 60 cm haben: Dies ergäbe die natürlichste perspektivische Darstellung. Dies erfordert natürlich für das Format 18 x 24 cm eine Kamera mit etwa 75 cm Auszug oder bei einer normalen Auszugslänge von 60 cm vor die Standarde einen Vorbau entsprechend der Länge.

Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie bzw. Ihre Fotographin mit solchem Kram belästige, aber für mich wäre eine sachdienliche Auskunft von grösstem Wert, für die Ihnen dann gerne wieder Fotos meiner eigenen Sammlung zur Verfügung stehen. Bitte äussern Sie nur Ihre Wünsche, dann helfe ich jederzeit mit Vergnügen.

Mein Erard-Flügel trägt die Nr. 14832 [MIR1125] und stand im Hause von [handschriftlich eingefügt] Chopin's M. Verleger Schlesinger in Paris, wo ihn Chopin persönlich oft spielte. Er hat die Erard-Mechanik, die auch Ihr Flügel besitzt, also mit dem von unten nach oben arbeitenden Dämpfer. Hammerstiel gegabelt, gabelförmige Fänger, Löffel zur Abhebung der Dämpfer, jeder einzelne Hammer mit Kapsel, Vorderdruck der Mechanik, 5 Eisenspreitzen, über den Saiten geradsaitig, eiserner Anhang, Umfang Kontra C bis f'''', Länge 194,5 cm, Breite 116,5 cm, Gehäuse Palisander mit eingelegten Ahornadern und mit Rosenholzeinlagen, über den Saiten ein Schalldeckel. Dazu darf ich kurz bemerken, dass die vielfach auftretende Meinung, dieser Deckel sei ein Sta[u]bdeckel, irrig ist. Sie werden sich überzeugnen können, dass die Flügel mit hochgehobenem Deckel anders klingen als mit heruntergeklappte[m] Schalldeckel. Die Schalldeckel fehlen vielfach an historischen Flügeln. Wir ersetzen sie bei Fehlen immer historisch getreu.

Vom Beethovenhaus in Bonn erfahre ich, das Bild mit dem Studierzimmer Beethovens aus dem Schwarzspanierhaus ist nach einer Zeichnung von Johann Hochle von Gustav Seybold gestochen worden. Als Zeichner des Broadwood vermutet Frimmel (Die Musik, Jahrgang II, Heft 14, Seite 8[?] Josef Danhauser, fügt aber hinzu [getilgte Wiederholung], dass seine Vermutung noch einer peinlichen Überprüfung bedürfe. Den Liegeort der Broadwoodflügelzeichnung konnten Sie ja in Wien auch nicht eruieren. Sehr wichtig wäre mir für die Prof. Fischer'sche Publikation, festzustellen, wo das Bild mit dem Studierzimmer Beethovens aus dem Schwarzspanierhaus aufbewahrt wird. Ich vermute doch, dass wenigstens dieses in Wien liegt. Sie würden sich ein grosses Verdienst erwerben, wenn es Ihnen gelänge, hier Klarheit zu schaffen.

Inzwischen mit herzlichen Grüssen // Ihr".

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1952,04,01
Schreibort
Nürnberg
Erwähnte Objekte
Hammerflügel
Tasteninstrumente
Hammerflügel
Tasteninstrumente
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Vergleichsobjekt(e)
erwähnte Institutionen
erwähnt im Zusammenhang
Besitzer(in) Musikinstrument(e)
erwähnt im Zusammenhang
Vorbesitzer(in)
Literaturreferenz
Haas 1951
Luithlen 1939
Frimmel 1903
Rück 1956