"Sehr verehrter Herr Doktor!
Ihr Brief vom 1. und Ihre Karte vom 7. April erreichten mich erst nach meiner Rückkehr von einer Reise. Außerdem waren allerlei Studien nötig, um Ihre Fragen zu beantworten. Entschuldigen Sie also, bitte, daß ich erst heute antworten kann!
Vor allem: nun ist tatsächlich das Original der Tuschzeichnung von J. HÖCHLE gefunden, die dem bekannten Stich 'Beethovens Studierzimmer' zugrundeliegt. Sie befindet sich im historischen Museum der Stadt Wien, Inv. Nr. 15828. Die Sammlung ARTARIA besteht nicht mehr; die letzten Bestände sind der Stadt Wien vermacht worden. Die Tuschzeichnung ist von hohem dokumentarischen Wert, 'nach der Natur' mit dem Broadwood-Flügel und dem Blick aus dem Fenster auf den Stefansdom; laut Inventarvermerk ist sie datiert '30.III.1827.' Zeichnerisch ist sie womöglich noch schwächer und ungeschickter als der Stich.
Wenn Sie eine Photographie der Zeichnung wünschen, so bitte ich Sie, sich an das Historische Museum der Stadt Wien, Wien I. Neues Rathaus (Herr Dr. MAY) zu wenden, die Ihnen eine solche gerne zur Verfügung stellen wird. Wenn man diese Tuschzeichnung reproduziert und nicht den bekanntnen Stich, so ist damit gewiß etwas Seltenes gegeben. Die Reproduktionserlaubnis würde das Historische Museum der Stadt Wien gewiß erteilen. Sehr schön ist die Sache nicht. Die Zeichnung vom Broadwood in der 'Musik' (II,14) [Frimmel 1903] ist doch gewiß hübscher?
Mit unserer Photographin, Frl. SCHWENK, habe ich ein längeres Gespräch über Ihre Fragen geführt. Die Klavieraufnahmen sind mit einer Zeiss-Protar-Linse, Brennweite 41, gemacht. Es wird nicht entzerrt, sondern bei der Einstellung der Aufnahme darauf Rücksicht genommen, daß sich keine 'stürzenden Linien' ergeben.Der Vorgang hiebei ist scheinbar kompliziert, nicht leicht zu erklären und bei jeder Aufnahme verschieden. Die Einstellung erfordert, wie ich bei allen Aufnahmen immer wieder sehe, die größte Sorgfalt und Ruhe. Mit den neuesten Errungenschaften photographischer Apparatur können wir nicht rechnen. Die unsere stammt ja aus der Vorkriegszeit.
Nun möchte ich Ihnen noch sehr herzlich für die Daten Ihres Chopin-Erard-Flügels [MIR1125] danken. Es ist interessant, daß er einen sogenannten 'Staubboden' hat, wie die Klaviermacher sagen, der ja aber, wie Sie richtig bemerken, akustische Wirkungen hat. Welchen Vorteil hat sich Erard eigentlich von der Unterdämpfung erhofft? Alle mir bekannten Flügel mit dieser Dämpfung klingen rigendwie nach. Galt das als besonders romantisch?
Von dem dritten Flügel in der Form des Mozartflügels erwarte ich noch eine Nachricht und werde Ihnen dann gleich darüber schreiben. Da das Mozart-Jahrbuch, wie Sie mir sagen, erst nächstes Jahr erscheinen wird, so ist ja für diese Sache auch mehr Zeit gegeben. [Betrifft Rücks Beitrag von 1956.]
Nehmen Sie für heute, sehr verehrter Herr Doktor, die herzlichsten Grüße! // Stets Ihr ergebener // [handschriftlich] Victor Luithlen".