"Lieber Herr Marx!
Ich bin nun glücklich wieder nach Nürnberg zurückgekehrt und arbeitete allein zehn Tage in Salzburg an den beiden Flügeln und in Linz am dortigen Walter-Flügel. Ich habe nun alle Masse und alles Material zusammen, um dem guten Haas beweisen zu können, dass seine Behauptungen Unsinn sind. Der Flügel ist zweifelsfrei von Anton Walter erbaut.
Ich muss darüber eine Studie ausarbeiten, die mir viel Arbeit macht. Genug Arbeit hatten wir bereits. Ich und Katholnigg machten in Salzburg und Linz 32 Aufnahmen, ich selbst in Erlangen bereits auch etwa 18. Immerhin hat mich die Sache gereizt, denn wenn ich einmal nicht mehr bin, ist niemand mehr da, der sich einer solchen Frage mit der nötigen Sachkenntnis widmen kann.
Im Zusammenhang damit bitte ich Sie um Beantwortung folgender Fragen: Haas gründete seine Behauptung, der Flügel sei aus einer süddeutschen Werkstatt, aber nicht von Walter, darauf, dass der originale Mozart-Flügel Kanzellen-Führung der Tasten und keine Vorderstifte hat, alle übrigen signierten Walter-Flügel dagegen Vorderstifte und keine Kanzellenführung.
Nun erinnern Sie sich ja gut, dass die obere Hinterdruckleiste der Kanzellen mit Schnur aufgebunden ist: eine schrecklich unpraktisch Sache, die noch dazu sehr viel viel führt Haas an, dass der originale Flügel etwa 1 cm hohe obere
Arbeit macht. Ausserdem Bäckchen am Waagepunkt besitzt, während alle anderen Flügel niedere Bäckchen haben. Ich persönlich führe diese oberen Bäckchen, die schräg nach rückwärts zu ausgeschnitten sind, in ihrer abnormen Höhe darauf zurück, dass Walter die Kanzellenführung für die Tasten nicht genügend sicher erschien und er infolge durch höhere Bäckchen eine bessere Tastenführung erreichen wollte insbesondere gegen die Drehbewegung der Taste, wenn man Oktaven greift.
Wie denken Sie über diesen Punkt? Katholnigg ist nicht ganz dieser Meinung. Er glaubt, dass die Kanzellenführung allein gegen die Drehbewegungen der Tasten genügend Schutz bieten. Ich stellte aber dazu fest, dass die Tastenhebel am Ende teilweise etwas konisch zugeteilt oder zugeschnitzelt sind. Die Kanzelle ist auf die Hälfte der Tiefe beiderseits mit Leder garniert, damit die Tasten geräuschlos auf und ab gleitet.
Nun bin ich der Meinung, wenn die Bäckchen 1 cm hoch sind, ist die Drehbewegung der Taste von links nach rechts viel besser unterbunden, als wenn die Bäckchen nur 4 mm hoch sind.
Ausserdem weist der originale Flügel auch unten am Waagbalkenstift niedere Bäckchen auf, die sich zwanglos daraus erklären, dass die Tastenhebel an der Stelle der Waagbalkenstifte nicht wie sonst üblich ausgeschnitten sind. Damit die Taste nicht auf dem Waagbalken aufschlägt, mussten aus diesem Grunde Bäckchen angebracht werden. Uebrigens sieht man an sämtlichen Tastenhebeln, dass ursprünglich diese Bäckchen wesentlich breiter waren, doppelt so breit wie heute. Man sieht nämlich noch am Holz deutlich, dass die Bäckchen auf die halbe Tiefe wieder abgespart wurden.
Wir denken uns die Sache so, dass dieser originale Flügel ein früheres Modell Walters gewesen ist aus einer Zeit, in der die Kanzellenführung noch üblich war und nun interessiert mich hier Ihre Meinung aufgrund Ihrer langjährigen Restaur[ier]ungs-Erfahrung mir mitzuteilen, ob diese Kanzellenführungen sehr häufig waren
a) ob bei Klavichorden
b) ob bei Hamerklavieren
c) ob bei Hammerflügeln.
Letzteren Punkt werden Sie mir allerdings kaum beantworten können, denn die Leipziger Sammlung hatte ja nur drei Hammerflügel aus der Mozartzeit: den Stein, den sogen. Schiedmayer und einen übrigens recht guten unsignierten Flügel. Vielleicht können Sie sich aber noch erinnern, wie die Tastenführungen gewesen sind.
Jetzt kommt aber der Hauptpunkt:
ich, Scholz und Katholnigg stehen auf dem Standpunkt, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, ob die Tasten rückwärts in Kanzellen oder statt deren vorne in Vorderstiften geführt ist, sondern auf den Hinterdruck! Der Hinterdruck ist aber bei allen Walter-Flügeln gewährleistet, denn alle haben ebenso wie der originale Mozart-Flügel obere und untere reichlich gepolsterte Hinterdruckleisten. Mit anderen Worten: alle Tastaturen arbeiten auf Hinterdruck unabhängig davon, ob sie Kanzellen- oder Vorderstiftführung haben. Ich glaube, dass dieses Argument durchaus beweiskräftig ist.
Nun noch eine zweite Frage. Erinnern Sie sich aus Ihrer musealen Praxis, ob ein anderer Hammerflügel- oder auch Hammerklavier-Hersteller diese Sehwalbenschwanzbäckchen eingebaut hatte, die dazu dienen, die Auslösung mittels der Auslösungsregulierleiste regulieren zu können? Sie erinnern sich, dass der originale Flügel 6 Schwalbenschwanzführungen hat, der Garser hat 4, der Linzer Walter-Flügel hat 5 solcher Führungen. Diese Führungen bezwecken, die Leisten entweder nach hinten oder nach vorne schieben zu können. Die Leisten sind bei all diesen Flügeln durch kleine feine Messingstiftchen, die senkrecht hindurchgehen, fixiert. Diese Schwalbenschwanzführungen sind mir von anderen Fabrikanten nicht bekannt. Es würde mich aber auch Ihre Meinung darüber lebhaft interessieren.
Ein weiterer Punkt: Sie werden sich erinnern, dass der originale Fügel in der Bass-Seite einen Blindboden in Form eines spitzwinkeligen Dreiecks hat. Die Nahtstelle zwischen diesem Blindboden und dem Resonanzboden ist mit einer Leiste verdeckt und liegt nach unten auf einem Damm auf, den wir seinerzeit schon beim Öffnen des Garser Flügels, also als der Flügel noch abgeschnitten war, fotografierte. Sind Ihnen bei anderen historischen Hammerflügeln solche Konstruktionen begegnet, bei denen neben dem Resonanzboden noch ein Blindboden liegt? Ausser dem Garser und dem originalen Flügel weisen die anderen Walter-Flügel, soweit sie von mir bisher untersucht wurden, alle ganze Resonanzboden auf. Ich halte diesen geteilten Boden für einen weiteren wichtigen Beweis, dass der Flügel von Anton Walter gebaut wurde.
Soviel für heute.
Mit herzlichen Grüssen // Ihr".