"Lieber Herr Kreutz!
Vielen herzlichen Dank für Ihren Lieben Brief vom 20.d.M.. Vor allem ehrt mich Ihr grosszügiges Anerbieten, mir eine genaue Beschreibung des Silbermann-Clavichords zu fertigen. Die von Ihnen angeregten technischen Einzelheiten erbitte ich mir von Hartmann. Wie und ob es Hartmann gelungen ist, die alten Saiten wieder zu verwenden, weiss ich nicht, ich bekomme von ihm noch einen Bericht über seine Restaurierungsart und Arbeit. Ich selbst lasse an dem Instrument garnichts machen: wenn es hier ist, kommt es sofort in einen luftschutzsicheren Raum, der durch eine Klimaanlage entsprechend temperiert ist.
Die Rosettenfrage ist natürlich verwickelt. Ich habe leider keine Beziehungen zu dem Holzbildhauer Dressel in Markneukirchen. Wenn Sie
ihn persönlich kennen, würde ich Sie bitten, ihn um eine Fotografie der Rosette des Markneukirchener Gottfried Silbermann Clavichords zu bitten oder sich diese über Ihren Bekannten Merzdorf zu verschaffen. Es steht ja auch garnicht fest, ob jeder Meister immer die gleiche Rosette verwendet hat. Es sind auch hier Überraschungen möglich.
Aus welchen Gründen schliessen Sie, dass das Erlanger Spinett von Johann Daniel Silbermann ist? Ich finde im Kinsky Band 1 S. 265/66 einen Johann Heinrich, einen Gottfried, einen Johann Friedrich und einen Johann Andreas Silbermann, dagegen keinen Johann Daniel Silbermann. Nach Kinsky 266 und nach der Etikette ist das Leipziger Spinett S. 79/80 zweifelsfrei von Johann Heinrich Silbermenn und hat eine Rosette mit 3 charakteristisch verschlungenen S: der Beschreibung nach völlig identisch mit der Erlanger Rosette, mit der Rosette unseres Clavichords und des Berliner Clavichords Nr. 598. Wenn die Rosette entscheidend ist, würde demnach unser Clavichord, wenn es die gleiche Rosette wie Leipzig hat, von Johann Heinrich Silbermann stammen. Ich will versuchen, die Rosettenfotografie von Leipzig zu bekommen.
Wichtig wäre noch zu wissen, ab wann bundfreie Clavichorde sicher nachweisbar erstmals gebaut wurden. Wenn solche zu Zeiten Johann Heinrich Silbermanns nicht gebaut werden konnten, könnte ja das Instrument von ihm nicht sein.
Hartmann steht auf dem Standpunkt, dass ein Beweis, von welchem der Silbermänner das Clavichord stammt, bisher nicht erbracht ist. Er sagt, es kann ebensogut von Johann Heinrich sein als wie von einem anderen.
Ich bitte mit gleicher Post Hartmann, Ihnen die Fotografie der Rosette im Clavichord zu senden und die Fotografie der Inschrift auf dem Bund. Eine Fotografie der Erlanger Rosette mache ich, wenn ich wieder zurück bin. Die Fotografie der Leipziger Rosette erbitte ich von Schultz. Die Zeichnungen der Rosetten der übrigen Silbermann-Instrumente in Berlin hat mir Hartmann bereits übermacht. Wenn ich dann alles beieinander habe, könmen wir in Stuttgart darüber sprechen.
Das Buch von Goehlinger [Goehlinger 1910] habe ich leider immer noch nicht gefunden und jetzt auch keine Zeit mehr nach diesem Schmöker zu suchen. Aber Sie bekommen die Fotografie sicher noch.
Nun eine Sache, die Sie bestimmt interessiert. Sie verrieten mir seinerzeit als tiefes Geheimnis, dass die mit /0 bezeichneten Bezugsnummern auf alten Tasteninstrumenten zu übersetzen wären durch die Kupferdrahtnummerntabelle, die heute noch gültig ist. Dazu
machte ich folgende interessante Feststellung:
in der Klinckerfuss-Sammlung ist ein Pape-Piano Console von 1851, das bereits moderne Numerierung aufweist, dessen Saitenstärken aber dagegen, soweit sie noch original waren, etwas [s]chwächer sind als wie die Millimeter den heutigen Saitennummern entsprechen würden. Ich liess mir nun von Hartmann in Berlin die Saitennummern-Angaben aus den 3 Berliner Pape-lnstrumenten kommen und gebe sie Ihnen in Abschrift bei: daraus ist zu entnehmen, dass die Saitenstärken nicht mit den Kupferdrahtnummern in der Stärke übereinstimmen, sondern durchgehend geringer sind.
Die früheste Pape-Numerierung stammt von 1836, also aus einer Zeit, in der sehr wohl die alten Lehren noch Gütigkeit haben konnten.
Es sind nun zwei Möglichkeiten:
a) entweder die Übersetzung mit der heutigen Kupferdrahtnumerierung ist doch nicht richtig
b) oder die Franzosen hatten eine besondere Numerierung sowohl in /0 Nummern als wie in der heutigen Art der Numerierung, die durchgehend etwas schwächere Stärken aufwies.
Für die Ansicht zu b) spricht, dass wir den Erard-Flügel aus der Sanmlung Klinckerfuss von 1839 durchmessen haben und dabei feststellten, dass dessen Numerierung, die bereits in der Art der heutigen Saitennumerierung durchgeführt ist, ebenfalls etwas schwächere Stärken aufweist als wie die aufgezeichneten Nummern nach heutigem Mass ergeben würden.
Da der Bezug auf dem Erard-Flügel zu 4/5 noch original ist, denn er ist noch halbhart und auch die alten Schlingen sprechen dafür, ist nicht daran zu zweifeln, dass diese Feststellung richtig ist.
Lassen Sie sich den Kram durch den Kopf gehen. Es existieren noch mehr Pape - Piano Console. Auch wir haben ein solches [MIR1183], das seinerzeit in Leipzig repariert wurde unter Aufsicht von Marx. Als er einen Tag weg war, putzte ein ganz gescheiter Schwabe schnell den messingbelegten Stimmstock 'glänzend' mit dem Effekt, dass er sämtliche alten Nummernmarken wegwusch. Echt Schwabe! Zum Glück hatte ich vorher noch die Stärken, die den alten Nunmern entsprachen, gemessen, die mit den Hartmannschen Messungen in Berlin übereinstimmen.
Eine weitere Klärung der Frage könnten Ihre Messungen am Hubert-Clavichord ergeben. Dort steht ja auch noch die alte Numerierung darauf und Sie massen ja den ganzen Bezug genau durch: stimmen diese Hubert-Clavichord-Numerierungen mit den Papeschen Nummernstärken überein?
Nun eine sehr wichtige Frage, die ich schon mehrfach an Sie richtete, die Sie mir aber niemals beantworteten. Jetzt fasse ich Sie beim Wickel und lasse Sie nicht mehr los: ist der Saitenzug, als die Belastung des Bodens durch den Saitendruck auf den Steg ein
stärkerer, wenn man halbharte, also sogen. milde Gusstahldrahtsaiten zum Bezug nimmt oder ist er ebenso gross, wenn man harte Gusstahldrahtsaiten heutiger Härte nimmt?
Es wäre mir sehr wichtig, wenn Sie mir diese Frage, sofern Sie sie beantworten können, beantworten würden. Wir machten früher besonders bei vielleicht nicht richtigen Mensuren, mit halbharten Saiten hinsichtlich Stimmhaltung bezw. Reissens schlechte Erfahrungen. Das Pape war mit halbharten Saiten bezogen, der ganze Bezug ist aufgehoben und durchgemessen. Er musste herunter, da sich ein schwerer Defekt unten am Saitenanhang zeigte. Es muss neu bezogen werden und zur Beurteilung der Frage, ob harte oder halbharte Saiten wäre mir die Beantwortung obiger Frage sehr wichtig.
Beim Erard-Flügel ersetzten wir ca. 1/5 des Stahls, der falsch oder gerissen war, wieder in halbhart und beliessen im übrigen den ganzen Bezug.
Jetzt habe ich Ihnen einen ganzen Blütenstrauss von Fragen vorgelegt, schreiben Sie mir bitte die Antwort, wenn Sie Zeit haben. Ich bin die 2. Hälfte dieser Woche, jetzt aber sicher, in Wien I, Hotel Siller, Schwedenplatz 4, wo ich gerne Ihre Antwort ehalte.
Ihnen und Ihrer Frau allerherzlichste Grüsse // von Ihrem getreuen".