"Lieber Herr Doktor,
vielen Dank für Ihren lieben Brief. Daß Sie das Silbermann-Clavichord in einen bombensicheren Keller stellen wollen, ist besorgniserregend: wird der Raum genügen trocken sein, damit das Instrument keinen Schaden leidet? Ich habe in dieser Beziehung schon viele tolle Sachen erlebt.
Die Rosettenfrage ist natürlich sehr verwickelt. Ob man ein Foto von der Markneukirchner Rosette bekommen kann, bezweifle ich sehr: Dressel wird sicher, wie auch Merzdorf eingezogen sein. Auch ein Bekannter von mir in Lübeck, der eine Kopie der Rosette besitzen muß, wird sicher beim Militär sein. Auf alle Fälle mache ich einen Versuch, Sie zu bekommen. Johann Daniel Silbermann ist keine mystische Persönlichkeit, sondern der ältere Bruder von Joh. Heinrich. Er ist am 31. März 1717 geboren und am 9. Mai 1776 gestorben.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich darauf gekommen bin, daß das Erlanger Spinett von Joh. Daniel Silb. ist. Der Form nach könnte das Modell gut von ihm entworfen sein. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß beide Brüder dieses Modell, das ja in mehreren Exemplaren erhalten ist, gebaut haben. Joh. Heinrich hat hauptsächlich Hammerklaviere nach dem Muster von Gottfried S. und Clavichorde gebaut.
Bundfreie Clavichorde wurden schon um 1700 gebaut. Diese Jahreszahl steht auf einem bundfreien signierten Clavichord, das sich in einer englischen Privatsammlung befindet. Aus der Literatur habe ich bundfreie Cl. im Jahr 1705 sicher nachgewiesen.
Zu den Saitenstärken: Die französischen Drahtnummern waren mit den deutschen nicht übereinstimmend. Auch unter den verschiedenen deutschen Fabrikaten gab es früher Abweichungen. Die Kupferdrahtnummern stimmen mit den Saitennummern der Wiener Hammerklaviere bis etwa 1830 überein. Für die Pape-Instrumente haben sie keine Gültigkeit.
Was Sie über den Schwaben schreiben, der auf dem Stimmstock die Nummernmarken entfernte, ist natürlich grausig, aber solche 'Schwabenstreiche' machen auch andere: Hartmann hat bei einem Clavichord von Bartholomäus Fritz in der Berliner Sammlung die schmutzigen Tastenhebel säuberlich mit Glaspapier abgeschliffen und dabei die Nummernbezeichnungen, von denen man noch kleine Spuren sieht, vernichtet. Meine Ansicht ist, daß alle Reparateure und Restaurateure vom Teufel erfunden sind. Ich warte jetzt mit Neugierde auf den Hartmann'schen Bericht über die Reparatur des Silberman-Clavichords; da werden wir sicher noch Überraschungen erleben! Der Geschichte mit den angeblich alten Saiten traue ich nicht.
Nun zu der letzten Frage: Der Saitenzug, damit auch die Belastung des Bodens ist bei weichen und harten Saiten praktisch gleich. Nur die Tonqualität ändert sich, nicht die Span-
nung.
Die Schwingun[g]szahl (Tonhöhe) einer Saite ist gleich:
[mathematische Formel siehe Digitalisat]
Mit dem Material der Saite hängt nur die Größe k = Masse der Längeeinheit der Saite. Die Masse ist wiederum vom spezifischen Gewicht des Materials abhängig. Das spezifische Gewicht sowohl des Eisens als auch des Stahls ist 7,6 - 7,8. Die Abweichungen der einzelnen Sorten, die durch Beimischungen bedingt sind, darf man bei Zugberechnungen nicht in Betracht ziehen, da sie zu gering sind.
Somit ist nur die Tonqualität und, wie gesagt, nicht die Saitenspannung bei weichen und harten Stahlsaiten verschieden.
Eben fällt mir etwas Wichtiges ein: in Wien ist in einem Palais gegenüber der Nationalbibliothek (der Name ist mir entfallen) eine Instrumentensammlung untergebracht. Darunter befindet sich auch ein Clavichord von Friederici, angeblich aus Mozarts Besitz. Das Instrument ist, wie üblich, verschlossen, so daß man sich davon keine Vorstellung machen kann. Ich selbst war nicht in Wien, aber Bekannte von mir versuchten vergeblich
das Instrument genauer zu besichtigen.
Wenn das Clavichord wirklich von dem alten Friederici ist (er hieß Christian Ernst), dann ist es eine Rarität allerersten Ranges, Friderici war ein Schüler von Gottfried Silbermann und
viele Kenner schätzten seine Instrumente sogar mehr als die seines Lehrers.
Könnten Sie nicht dieses Instrument genau ansehen? Der Konservator wird Ihnen sicher die Erlaubnis erteilen. Wichtig ist zu wissen, ob eine Signatur vorhanden ist, ferner wenigstens der Umfang, die klingende Länge der tiefsten und der höchsten Saite. Sehr schön wäre es evl., wenn man den Resonanz-Boden des Instruments oder das ganze Instrument von oben
fotografieren könnte. Schauen Sie sich überhaupt dieses Instrument genau an, an solchen Meisterwerken lernt man sehr viel.
Nun wünsche ich Ihnen, lieber Herr Doktor, von Herzen recht gute Erfolge bei Ihrer Kur und grüße Sie in alter Freundschaft // Ihr // [handschriftlich] AKreutz".