"Lieber Herr Doktor,
haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihren lieben Brief und das Päckchen. Das Buch habe ich nicht ausgepackt, sondern werde es als eine Überraschung auf meinen Weihnachtstisch legen.
Dieses Jahr werde ich mir die Weihnachtsbescherung selbst bereiten müssen, wie Peregrinus Tieß in E.T.A. Hoffmann's 'Meister Floh' (Kennen Sie dieses Werk? Wenn nicht, so lesen Sie es unbedingt blos wenigstens das erste Kapitel: darin finden Sie eine der schönsten und stimmungsvollsten Weihnachtsbeschreibungen, die ich kenne).
Sie glaube gar nicht, lieber Herr Doktor, wie sehr mich Ihr lieber Brief gefreut und gerührt hat.
Ebenso bin ich aufs tiefste bewegt über die vielen Beweise der echt freundschaftlichen Gesinnung, die ich täglich bekomme. Meine Post ist die umfangreichste im ganzen Lager; ich bekomme Briefe und Päckchen von Leuten, die mir nicht einmal besonders nahe gestanden sind und diese vielen beweise der guten Gesinnung und der Zuneigung beschämen mich direkt.
Ich weiß wirklich nicht, womit ich diese Liebe und Freundschaft verdient habe.
Das ist das Gute an meiner jetzigen Lage: mir ist deutlich zum Bewußtsein gekommen, was ich an meiner guten Frau und an meinen freunden habe.
Für Ihre guten Wünsche danke ich Ihnen von Herzen! Sie schreiben: 'Es ist doch ein erfreuliches Zeichen, daß Sie sich nun wieder für Ihr geliebtes Clavichord zu interessieren beginnen!'
Allerdings habe ich jetzt allmählich mein geistiges Gleichgewicht gefunden, noch mehr: ich habe augenblicklich einen direkten Heißhunger nach Musik, nach allem, was mit dem Clavichord zusammenhängt. Nachts, wenn ich keinen Schlaf finde, wälze ich die kompliziertesten Clavichordprobleme und mir ist sogar erst jetzt richtig klar geworden, was vorher nur unbewusst schlummerte. So habe ich in der letzten Zeit viel über die Probleme des Clavichordbaues nachgedacht und ich glaube, daß mir - hätte ich Gelegenheit dazu - jetzt sehr gute Clavichorde gelingen würden.
Das, was Sie mir über das Tischclavichord schreiben, das Sie für die Reichshochschule in Salzburg spielbar machen, hat mich sehr interessiert.
Man sieht, daß es kaum ein Instrument gibt, an dem nicht schon jemand herumgemacht und herumprobiert hat!
Im Salzburger Museum gibt es übrigens noch andere Clavichorde, deren Spielbarmachung sich besser lohnen würde, z. B. das von Spät und Schmahl in Regensburg und dasjenige mit dem rot-weiß-blauen Tuchgeflecht.
Sehr gespannt bin ich auf Ihren Bericht über das originale Mozart-Clavichord.
Nun zu Ihren Wünschen: hier gibt es fast gar keine Volksmusikinstrumente. Nach längerem [?]mfragen habe ich erfahren, daß man ab und zu dreieckige Psalter noch finden kann. Nun taucht die Frage auf: wie soll ich so ein Ding besorgen, wenn ich den ganzen lieben Tag im Dienst eingespannt bin. Noch schlimmer ist die Frage: wie soll man so ein Ding nach Deutschland bringen? Außer dem Kilo-Päckchen gibt es keine Transportmöglichkeit. Höchstwahrscheinlich werde ich in einigen Wochen in mein ursprüngliches Lager zurückversetzt, wo soll dann so ein Psalter liegen bleiben?
Was Sie mir über das Geschäft schreiben, ist ganz betrüblich. Gott, wann kriegen wir wieder normale Verhältnisse!
Leben Sie wohl, lieber Herr Doktor, haben Sie nochmals vielen Dank und seien Sie gegrüßt mit herzlichen Weihnachtsgrüßen von // Ihrem getreuen // AKreutz".