NL Rück, I, C-0482c

"Lieber Herr Doktor,

heute kam Ihre Karte v. 14.10.41, die mich sehr gefreut hat. Schon aus der Tatsache, daß die Post 16 Tage unterwegs ist, können Sie sich denken, daß ich nicht mehr am alten Platz bin.

Seit etwa drei Wochen wurde ich vorgeschoben in ein anderes Lager, das [???] im Ausbau begriffen ist. Trotzdem war es mit Gefangenen überfüllt, was mir große Sorge bereitete.

Hier bin ich nicht als Dolmetscher eingesetzt, sondern bekleide eigentlich einen wichtigen Posten, [der] normal von einem Hauptmann besetzt ist, übersetzen muß ich noch obendrein.

Daß ich in Arbeit ersticke, können Sie sich vorstellen. Jetzt haben wir, Gott sei Dank, die Mehrzahl unserer Gefangenen abgeschoben, aber noch vor einer Woche habe ich nicht einmal Zeit gehabt richtig zu essen.

Dazu plagte mich ein [???] Rheumatismus. Jetzt noch, nachdem ich schon behandelt wurde, kann ich den rechten Arm kaum heben. Grüßen muß ich mit der linken Hand, kämmen kann ich mich auch nur mit der l. Hand. Nachts habe ich meistens Schmerzen. Auch die große Verantwortung, die auf mir lastet, raubt mir oft die Nachtruhe.

Einen Lichtblick haben wir hier: Fleisch gibt es in Mengen. Schweinebraten, Rindfleisch oder Hammelragout kosten hier 50-60 Pf.

Um Ihnen den Mund wässrig zu machen: gestern bestand mein Abendessen aus rotem Schinken, einem Schweinekotlett und einer Flasche Bier. Kostenpunkt - 1.20 M. Brot kostet hier gar nichts.

Das sind die Sonnenseiten meines Daseins, doch die Schattenseiten überwiegen.

Nun genug von mir. Wie geht es Ihnen? Haben Sie sich gut erholt? Wie steht es mit Ihrer Gesundheit?

Die Nachricht, daß Sie das Mozart-Clavichord restaurieren sollen, hat mich lebhaft interessiert. Schade, daß ich nicht dabei sein kann!

Beim Reparieren muß man vor allem alle Maaße genau abnehmen. Die klingenden Längen der einzelnen Saiten nicht vergessen. Außen Ausmaße, die immer genommen werden, spielen nicht die große Rolle, mehr manches andere. Sehr wichtig ist es, den Resonanzboden in nat. Größe abzuzeichnen. Die Lage und genaue Form der Rippen müssen festgehalten werden. Sehr wichtig ist die Lage der Fasern beim Holz der Rippen, d.h. liegen sie so wie etwa bei Gitarren [Skizzen siehe Digitalist] oder so[.]

Ich sehe schon im voraus, daß die Abmessungen nicht genau und ausführlich genug gemacht werden, daß man sicher vergisst bei einzelnen Tasten die längen vor dem Waagbalken und hinter dem Waagbalken zu messen; daß man bei den Saiten den klingenden Teil und den nicht klingenden Teil nicht separat abmißt!

Es ist jammerschade, daß diese Gelegenheit mir entgehen muß! Aber was muss ich nicht alles opfern durch meinen Militädienst!

Instrumente von Friederici (sen.) sind [rarer?] als Gold, man kann sie nicht genug studieren. Wenn ich in Stuttgart wäre, würde ich einen Urlaub nehmen um nach Nürnberg zu fahren und abmessen können. Hier darf ich an einen Urlaub vorerst nicht denken: für mich ist noch kein Ersatz da.

Leben Sie wohl, lieber Herr Doktor, und seien Sie herzlich gegrüßt von // Ihrem alten // AKreutz".

 

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1941,10,30
Schreibort
Rositten
Erwähnte Objekte
Klavichord
Tasteninstrumente
erwähnt als
Restaurierung