"Lieber Herr Doktor,
vielen Dank für Ihre Karte. Die Aufnahme der Klinckerfuß-Sammlung haben Sie - wenn ich mich nicht irre - in die rechte Schublade des Schreibtisches (von Ihrem Sitz gesehen) gesteckt. Haben Sie sie am Ende nicht in den Koffer gelegt, aus dem Sie das Norlind-Buch herausgenommen? Sonst kann ich mir nichts denken.
Es freut mich sehr, daß das Buch über die Streicherschen Pianofortes sich finden ließ; es wird Ihnen sicher gute Dienste leisten.
Da ich nicht weiß, was mit mir wird, will ich Ihnen gleich andere Raritäten verraten, die mir gerade eingefallen sind und von denen Sie gelegentlich Gebrauch machen können:
1. Naudot, Jean-Jacques // Six babioles pour 2 Vielles ou 2 Musettes. Paris (o.J.) Oeuvre 10. // 6 Sonates pour Vielle et B. Paris 1739. Oeuvre 14. // Beide Werke liegen in der Nationalbibl. in Paris.
2. Streitwolf, Joh. Heinrich Gottl. // Tabelle nebst 14 Übungsstücken für das Doppel-Flageolet. Hannover o.J. (Liegt in der Pr. Staatsbibl. in Berlin)
3. Stadler, Anton (oder Johann?) // 6 Duettinos pour 2 Csákans ou Czácan et Violon. // 3 Caprices pour Csákan ou Flûte double. Wien o.J. // (Beide Werke in der Pr. Staatsbibl., Berlin)
4. Rölllg, KarI Leopold // Kleine und leichte Tonstücke für die Orphica nebst drei Solfeggi für eine Hand allein. (Ms. in der Sächs. Landesbibl. Dresden)
5. Schneider, W. // Historisch-technische Beschreibung der musikalischen Instrumente.1834. (Befindet sich in der Schloßbibliothek in Berlin. Katalog-Nummer M.6777)
Mehrere andere Sachen, darunter ein Traktat (mit Grifftabelle) über den Dudelsack, fallen mir augenblicklich nicht ein. Ich werde Ihnen darüber schreiben, wenn ich entsprechende Notitzen gefunden habe.
Hebe ich Ihnen schon geschrieben, daß unsre Hochschule geschlossen bleibt? Was man mit uns macht - wissen wir vorerst noch nicht. Prof Petyrek hat uns geschrieben, das[s] die Professoren des Leipziger Konservatoriums zu Strassenbahn-Schaffnern und Briefträgern umgeschult werden. Bis es mit mir so weit ist' muß ich im Haushalt arbeiten: unser Mädchen hat aus Angst vor Fliegerangriffen gekündigt und geht nach Hause. Da man kein anderes finden kann (keinere will in die Nähe des Gaskessels, da unsre Gegend zu der Gefahrenzone I gehört) werde ich die Stelle des Mädchens vertreten müssen. Mit dem Kochen habe ich schon angefangen.
Wie geht es Prof. Steglich? Er wird jetzt auch nichts zum Lachen haben, da der ganze Universitäts- und Musikbetrieb stockt. Grüßen Sie ihn bitte aufs herzlichste.
Meine arme Frau muß jetzt natürlich mächtig arbeiten und hat dazu noch Haushaltssorgen. Für sie sind jetzige Zeiten wahrhaftig nicht leicht, umsomehr als sie nicht genügend Benzin bekommt.
Wie geht es Ihnen? Das Geschäft wird sicher nicht gut gehen? Max Schiedmayer hat übrigens zwei von seinen Fabrik-Häusern an die Stadt verkauft. Seine Stimmung ist natürlich nicht die beste.
Lassen Sie sichs gut gehen und seien Sie herzlich gegrüßt // von Ihrem getreuen // [handschriftl.] AKreutz
Grüßen Sie bitte auch Ihren Herrn Bruder und alle Bekannte."