"Liebe Herren Rück!
Sie werden sich sehr wundern, daß ich so gar nix von mir hören lasse. Ich bin aber seit Wochen in eine solche Drehmühle geraten von Universitätsbetrieb, Nürnberger Musikseminarbetrieb und Archiv-Schriftleitungsarbeit, daß ich zu privater Korrespondenz, überhaupt zu einem einigermaßen vernünftigen Lebenswandel überhaupt nicht gekommen bin. Ein Stoß Briefe liegt seit langem unbeantwortet da. Ende November hab ich - was noch nie vorgekommen ist - den Geburtstag meines Schwagers vergessen usw usw! Ein Assistent ist auch noch nicht da, was natürlich auch etliche Mehrarbeit macht. Aber der Herr Dr. Neumerkel ist nun dazu bestimmt und wird wohl mit dem neuen Jahre antreten. Um das Kraut fett, mich selbst aber mager zu machen, hab ich zwischendurch auch eine kleine Grippe gehabt. Die ist zwar nun wieder weg. Aber dadurch, daß in jenen Tagen, wo ich zu Bett liegen mußte, allerlei liegen geblieben ist, wurde es nicht gerade gemütlicher. Gestern bin ich zum erstenmal seit den Tagen von Neumühle und Schweigelberg ein paar Stunden spazieren gegangen. Warum ausgerechnet Samstag? Weil ich zum Tag der nationalen Solidarität mit der Sammelbüchse herumlaufen mußte. Aber es war eine wirklich feine Sache, die mir viel Freude gemacht hat, nicht nur der frischen Luft wegen und weil mal ausnahmsweise anständiges Wetter war, sondern auch der vielen wirklich netten Leute wegen, die einem dabei über den Weg gelaufen sind und etwas in die Büchse getan haben, ohne zu meckern.
Inzwischen hab ich - Der Herr Prokurist hat es wohl bereits berichtet - zweimal etliche Ihrer wunderschönen alten Instrumente öffentlich vorgeführt. Erstens zu einem Abend des Collegium musicum mit alter deutscher Hausmusik den Andreas Stein-Flügel mit Beethoven, das Nähtischklavierchen [MIR1174] zu allgemeiner Ergötzung mit einem Beethovenschen Walzer, die Orphika [MIR1178] wenigstens mit einer kurzen Probe. Da kurz vorher die neuen Bestimmungen über Nicht-Kritik herausgekommen waren, sind die Besprechungen etwas mager ausgefallen, obwohl mir einige verständige Leute sagten, es sei der beste Abend gewesen, den wir bisher gemacht haben. (Das dürfte wohl etwas übertrieben sein!) Zur selben Zeit wurde ich von der Magnifizenz gebeten, bei einem geselligen Abend der Universität etwas Musik zu machen, und der Syndikus Regierungsrat Zinner fragte gleich, ob ich nicht wieder eines von ihren famosen Orgalas dabei spielen könnte. Na, so ist es denn auch geworden. Ich habe zu Kempffs besonderem Vergnügen ein paar heitere Stücke auf dem Orgala gespielt, der Heilbronner von 1749 [MIR1019], und außerdem zur Begleitung des Grillparzer-Schubertschen Ständchens für Altsolo und vier Frauenstimmen - einem ganz entzückenden Opus, das bereits in der Collegium musicum-Aufführung viel Freude gemacht hatte, den Graf [MIR1119] traktiert. Den Transport zahlt die Universität. Aber ich kann nicht umhin, Ihnen aus der Entfernung und obwohl Sie gar nicht erst gefragt worden sind, für die freundliche Überlassung der Instrumente zu danken. Magnifizenz hat an jenem Abend in seiner Begrüßungsansprache besonders auf die schönen Instrumente des Hauses Rück hingewiesen!!!
Vorigen Sonntag in der sogenannten Sonntagvormittagsstunde hab ich einen Münchener Sänger, der leider a weng langweilig war, in der Aula auf dem Seminar-Steinway beglitten. Weil nämlich der renovierte Stechbein im Altstädter Rathaus - wie Sie wohl schon gehört haben - keinen Sechser wert ist! Darüber hatte ich Ihnen am 22. bereits einen Brief geschrieben voller Entsetzen, der aber bis heute noch nicht abgeschickt ist. Nun, das ist wohl auch nicht mehr nötig. Herr Haid wird Ihnen das Nötige wohl schon berichtet haben. Gestern hat Herr Haid nun versuchen lassen, durch einen Techniker die Sache wieder gut zu machen. Etwas besser wird's wohl auch geworden sein. Aber ob so, daß das Instrument im Altstädter Rathaussaal wirklich als Konzertierinstrument benutzt werden kann, daß wird sich erst zeigen müssen. Meines Erachtens ist der Flügel so veranlagt, daß er auch bei guter Ausbesserung für den kleinen Saal nicht geeignet ist. Und das beste wäre es, Sie könnten ihn anderweit teuer verkaufen und setzten für einen netten kleinen (aber nicht das Baby!) Steinway hinein. Herr Sauer ist entsetzt, daß er für die Sache RM 700.- zahlen soll!
Übrigens schönsten Dank für Ihre verschiedenen Zuschriften und Zeitungsausschnitt-Sendungen! Scherchen ist als Emigrant natürlich nicht sehr angesehen hierzulande. Und wenn er auch ein guter Musiker sein mag, so haben wir hier ja auch welche, die allerhand können. Zu dem Flügel, der 'nicht schebert', meinen Glückwunsch! Bin gespannt, ihn zu sehen und zu probieren.
Mittwoch in 8 Tagen möchte Frl. Baur mit ihrer obersten (und letzten) Seminarklasse Ihre Sammlung vorgeführt haben. Ich werde mir ein besonderes Vergnügen daraus machen. Aber daß das Vergnügen auf den Tschimborasso steigt, weil Sie selber dann etwa schon wieder zu hause wären, das ist wohl noch nicht zu hoffen?
[Handschriftl.] Hoffentlich haben Sie weiterhin schöne Tage gehabt, in Bozen, Florenz usw. // Herzlich grüßend Ihr // RudolfSteglich."