NL Rück, I, C-970e

"Lieber und verehrter Herr Dr. Luithlen!

Schon längere zeit stockt wieder unsere Korrespondenz. Vor allem entbiete ich Ihnen zum neuen jahr alle guten Wünsche nicht nur für Sie persönlich, sondern auch für die von ihnen so warm betreuten musealen Kostbarkeiten.

Meine Sammlung in den zusammen 200 qm grossen Räumen der Erlanger Universität wird gegenwärtig umgestellt: die Tasteninstrumente werden für öffentliche Vorführungen neu plaziert, alle übrigen Instrumentengattungen müssen leider in Kisten verbleiben, da mit jegliche Vitrinen fehlen und bei der katastrophalen Wirtschaftslage Deutschlands auch auf lange zeit hinaus nicht beschafft werden können, ganz abgesehen davon, dass es auch an trockenem Holz und Glas in höchstem Masstabe mangelt.

Wieweit sind Sie in der Restauratorfrage voran gekommen? Ich selbst arbeite seit Monaten daran, zwei sudetendeutsche Klavierbauer, wie mir dünkt, brave Leute, in meinen Betrieb aufzunehmen, muss aber wegen der Wohnungsfrage bis zum staatlichen Flüchtlingskommissar mich durcharbeiten: all diese Sachen, früher kein problem, ergeben heute dicke Aktenstücke und so verrinnt ein Jahr ums andere, man wird älter und die Leistungsfähigkeit wird auch leider damit nicht grösser. Ganz abgesehen von der geradezu verheerenden Ernährungslage.

Mein alter Restaurator [Otto Marx] ist jetzt auch über 75 und ich muss ihn mit Lebensmittelpäckchen ein wenig unterstützen. Leider kann ich ihn noch nicht nach Nürnberg nehmen, da ich vor Frühsommer nicht damit rechnen kann, in mein neu aufgebautes haus Jahnstr. 27 einziehen zu können.Durch die unsinnige Zonentrennung kann ich ihm auch nichts zum Restaurieren senden, sondern muss ihn mit der Anfertigung neuer Spinette und Klavichorde durchzuhalten versuchen. Das von ihm gebaute Spinett ist klanglich wunderschön, die Klavichorde habe ich noch nicht hier.

Nach vielen, vielen Bemühungen konnte ich meinen Fundus an Messingdraht wieder halbwegs ein wenig ergänzen, nachdem mein sehr belangreicher Vorrat total verbrannt war. Die Beschaffung aller anderen Materialien stösst auf masslose Schwierigkeiten. Wenn erst einmal der Handelsverkehr wieder offen ist zwischen Deutschland und Oesterreich, der ja leider ganz besonders streng gehandhabt wird, bin ich gerne bereit, Ihnen nach Massgabe meiner Kräfte zu helfen und möchte hoffen, dass Sie bis dorthin auch die Restauratorfrage lösen konnten.

So, nun ein paar geschäftliche Angelegenheiten: durch die sehr umständliche Beschaffung des Geldes für die beiden Flügel Graf und Erard sind mir RM 300.- in bar an Unkosten erwachsen. In früheren zeiten hätte ich diesen Betrag auf Geschäftsunkosten genommen. So bin ich heute leider finanziell dazu nicht mehr in der lage, da ich ja nichts zu verkaufen habe und die ganz bescheidenen Gewinne aus Reparaturen und Vermietungen gerade die Spesen decken. Ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn wir gemeinsam beraten könnten, wie mir Ihre Sammlung diese Unkosten einmal ersetzen kann. Sie setzen sich in einem wesentlichen Teil zusammen aus Zinsen an die Bank, ferner aus Reisespesen, die durch die Beschaffung des Geldes entstanden und aus den durch die verspätete Zahlung erwachsenen Differenz zwischen der früheren und dann erhöhten Umsatzsteuer.

Vielleicht sind Sie so lieb, mir einmal Vorschläge zu machen. Ein Ausgleich liesse sich ev. durch einen Instrumententausch bewerkstelligen: dass ich Ihnen Material liefere und Sie mir ein oder ein paar Tauschinstrumente geben, die im Wert diese 300.- beinhalten. Sollte Ihnen aber eine Barauszahlung möglich sein, so fände ich wohl Mittel und Wege, dass mich das Geld erreichen kann.

Ich bitte Sie, Ihre Antwort an mich zu richten, Sie aber zu adressieren an Frau Josefa Fees, Salzburg, Weiserstr. 26/I, rückwärts auf dem Kuvert zu notieren 'Für Anni'. Auf diese Weise besteht Aussicht, dass mich der Inhalt durch mündliche Verlautbarung wesentlich rascher erreicht.

Desweiteren fehlt mir noch die seinerzeit erbetene Bestätigung Ihrerseits, dass die Regulierung des Betrags für die beiden Flügel mit Genehmigung und unter Bewilligung der österreichischen Nationalbank erfolgt ist. Ich muss diese Bestätigung Ihrerseits bei meinen Akten haben, um auf jeden Fall gedeckt zu sein, falls irgendwelche Rückfragen kommen. Denn der Betrag wurde ja über die Reichsbank der Ausgleichsstelle gemeldet.

Bitte seien Sie so lieb, mir diese Bestätigung auf separatem Briefblatt zukommen zu lassen.

Persönlich geht es mir soweit zufriedenstellend, abgesehen von der immer noch andauernden starken Unterernährung. Ebenso meiner Wirtschafterin. Wir hausen immer noch bei Freunden, aufs Höchste beengt. Aber ich hoffe, dass mein Bau in einem halben Jahr soweit ist, dass ich wieder im eigenen heim, wenn auch bescheidener wie früher, wohnen kann. Gott gebe es!

Nun wird Sie noch interesieren, dass ich einen sehr schönen Flügel in elegantem Wiener Empire, äußerlich ähnlich meinem Walter-Flügel der Dorothea von Kurland, erwerben konnte mit der Firma 'Könnecke [sic], bürgerl. Instrumentenmacher, Wien'. Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verbunden, wenn Sie mir über diesen näheres mitteilen könnten, denn die Notizen im Katalog Kinskys sind zu kümmerlich. Ich kann den Flügel nach Eintritt der Währungsumstellung käuflich erwerben. Er hat bereits 6 Oktaven, weisse Untertasten, wozu eigentlich zeitlich das frühe Wiener Empire nicht past, dürfte also eine technisch schon fortgeschrittene Arbeit sein. In welche Zeit würden Sie den Flügel einstufen? Ich hoffe, Ihnen in Bälde ein Foto senden zu können, nachdem ich jetzt eine wundervolle Linhof-Präzisionskamera 9x12 neu erwerben konnte für meine musealen Zwecke. ich nehme an, dass Sie das Instrument interessiert und stehe mit weiteren technischen Angaben gerne zu Ihren Diensten.

Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mich mit einigen fehelnden Büchern unterstützen könnten: brennend suche ich wieder das Buch von Kobald über das musikalische Wien in der Biedermeierzeit [Kobald 1919], ferner die beiden Schriftchen von Julius Schlosser: Unsere Musikinstrumente [Schlosser 1922a] und den Kleinen Führer durch die estensische Sammlung. Den grossen Schlosser-Katalog [Schlosser 1920] konnte ich retten.Vielleicht wäre es Ihnen möglich, mir à conto der RM 300.- diese Bücher verschaffen zu können, wofür ich Ihnen sehr dankbar wäre. Ebenso für alle ev. in Oesterreich erscheinenden neuen Veröffentlichungen auf unserem Spezialgebiet.

Steglich veröffentlichte in der Erlanger Universitätszeitschrift einen Artikel 'Vom Klang der Zeiten' [Steglich 1948], den ich Ihnen heute beilege.

Von der Gründung der Gesellschaft für Musikforschung werden Sie wahrscheinlich auch keine Kenntnis haben. Ich lege dazu ebenfalls einen Prospekt bei. Endlich möge Ihnen dienen, dass die Zeitschrift für Instrumentenbau neu erschienen ist, bereits einen Jahrgang hinter sich hat. Falls Sie sich dafür interessieren, würde ich ein Abonnement für Sie einrichten und erwarte gerne darüber Ihre weiteren Mitteilungen. Redakteur ist Prof. Dr. [Hermann] Matzke, früher Breslau, jetzt Konstanz.

Auf diese Weise könnte nunmehr im neuen Jahre unser früher so überaus fruchtbarer und anregender Verkehr wieder in Gang gebracht werden, was ich herzlich hoffen und wünschen möchte.

Leider ging mir meine schöne Viola d'amore von 'Eberl[e]-Prag' [es handelt sich um das aus Wien 1934 erworbene, verschollene Instrument, nicht MIR785] mit Zettel durch Diebstahl in Salzburg im haus von Prof. [Karl] Stumvoll verloren. Sollte das Instrument im Wiener Antiquitätenhandel auftauchen und Ihnen angeboten werden, bäte ich Sie, eine Sperre zu erlassen und mich sofort zu benachrichtigen. Es wäre immerhin die Möglichkeit gegeben, dass es den Weg nach Wien gefunden hat.

Nun noch eine weitere Frage: Herr Dipl.-Ing. [Paul] Stieber, München, Werneckstr. 11, hat sich als Spezialist für Baryton aufgetan und schrieb Ihnen vor einiger Zeit wegen Literatur. Er bekam leider keine Antwort, sodass ich annehme, dass der Brief verloren ging. Ich bäte Sie hierüber um Mitteilung. Stieber ist ein ernst zu nehmender Dilettant, ein Schüler von [Christian] Döbereiner, der alles in der ganzen Welt erreichbare Material über vorhandene Barytone und deren Kompositionen mit Bienenfleiss zusammentragen bemüht ist und unsere gemeinsame Unterstützung warm verdient. Ich höre gerne von Ihnen und bin bereit, die Korrespondenz in die Wege zu leiten oder für ihn mit Ihnen durchzuführen.

Blatt 2

Die Münchener Instrumentensammlung leidet immer noch daran, dass sie schlecht magaziniert ist und dadurch allerhand Schäden erleiden wird. Mein Freund [Georg] Neuner ist nach wie vor Leiter der Sammlung. Sie hat insbesondere sehr belangreiche herrliche Exoten, ist aber im europäischen Instrumenteninventar schwach.

Ueber die Leipziger Sammlung bekam ich einen ausführlichen Bericht, den ich aber vertraulich behandeln muss. Es dürfte Sie interessieren, dass der Jean André Stein-Flügel, die Ruckers- und die Cristofori-Instrumente gerettet sind, aber viele wertvolle Streichinstrumente unwiderbringlich verloren. Man rechnet mit etwa 3/5 Bestand.

Die Sammlung des Deutschen Museums soll erhalten sein, dagegen dürfte die Berliner Sammlung fast zur Gänze verloren sein. Das sogen. Bach-Cembalo ist aber gerettet. Jedenfalls ist der Sachs'sche Katalog nur mehr eine Aufzählung von grösstenteils vorhanden Gewesenem.

[Curt] Sachs lebt in New York und hat in einem englischen Verlag ein Büchlein herausgegeben, das aber nichts belangreiches enthalten soll gemäss einer Mitteilung, die mir Norlind machte. Von diesem höre ich auch schon seit Jahresfrist nichts mehr und muss ihn auch wieder zum Briefwechsel ermuntern. Bei unseren sehr freundschaftlichen Beziehungen wird er mir dann schon antworten.

Falls in der ausländischen Presse inzwischen belangreiche Werke über alte Musikinstrumente erscheinen, bäte ich Sie sehr um die genauen Titel und die Verleger. Vielleicht könnte ich dann durch Ihre Vermittlung früher oder später diese Werke bekommen, nachdem ja meine Bibliothek zum grössten Teil vernichtet wurde.

[Georg] Kinsky schrieb mir einen sehr deprimierten Brief. Seine Frau verstarb infolge der Kriegseinwirkungen und er verlor in Köln als Jude seine gesamte Bibliothek nebst Karthotheken und will nicht mehr auf dem Gebiete der alten Musikinstrumente arbeiten. Falls Sie eine Anfrage an Ihn hätten, würden Sie diese am besten an mich leiten, dann würde ich versuchen, Ihnen zu helfen. Jedenfalls scheidet er aus dem Kreis der musikhistorischen Schriftsteller wahrscheinlich für immer aus.

[Rudolf] Steglich hat viel Arbeit und betreut die Sammlung nach Kräften.

Neupert rettete die Sammlung im Kern, verlor jedoch allerhand Instrumente beim Brand des Museums. Die 1. Garnitur ist aber gerettet in Bamberg und offenbar auch noch nicht allgemein zugänglich.

Nun genug für heute. Lassen Sie bald Belangreiches hören. Dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie einmal versuchen würden, Herrn Kommerzialrat Siller irgendwie telefonisch zu erreichen, ihm meine besten Grüsse zu übermitteln, ihm meine derzeitigen Verhältnisse zu schildern und ihn unter meiner Adressangabe zu bitten, doch einmal über sein und seiner Frau Befinden mir zu berichten. Ebenso bitte ich, unsere gemeinsame alte Freundin Frau [Anna] Demel und unsere Beiderseitigen Bedienungen wie alle Damen dort aufs herzlichste von mir zu grüssen.

Alles Liebe und Gute und herzliche Grüsse in alter Verbundenheit

von Ihrem treu ergebenen"

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1948,01,20
Schreibort
Nürnberg
Erwähnte Objekte
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Verkauf
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Verkauf
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Vergleichsobjekt(e)
Hammerflügel
Tasteninstrumente
erwähnt als
Ankauf
Viola d'Amore
Streichinstrumente
erwähnt als
Verlust
erwähnte Institutionen
erwähnt im Zusammenhang
Sammlungsbestand
erwähnt im Zusammenhang
Gründung
erwähnt im Zusammenhang
Sammlungsbestand
erwähnt im Zusammenhang
Sammlungsbestand
Literaturreferenz
Kinsky 1910
Kobald 1919
Schlosser 1920
Schlosser 1922
Steglich 1948
Sachs 1922