Georg Kinsky freut sich, nach mehrmonatiger Unterbrechung wieder mit Ulrich Rück in Kontakt zu stehen. Liefert auf insgesamt vier Seiten ein ausführliches Gutachten zu einem italienischen Spinett, das Ulrich Rück in Florenz zum Kauf angeboten wird. Kinsky war früher mehrfach in Italien und konnte italienische Kielklaviere eingehend untersuchen, was nunmehr in sein Gutachten einfließt. Anhand der vorgelegten Fotos und Notizen hält er das angebotene Spinett von Dominicus Venetus (MIR1086) für echt, da Bauart und Details den italienischen Spinetten der Renaissance-Zeit entsprechen. Ob Teile der Bemalung bzw. Signatur späteren Datums sind, lässt sich indes nur am Objekt ermitteln.
Klaviaturumfang C/E-f3 mit kurzer Oktave ist zeittypisch, verweist auf ein Spinett von Benedicti Floriani, 1568, in Florenz. Vermutet, dass das Spinett fest in einen bemalten Kasten eingebaut wurde und das Instrument selbst aus Zypresse gefertigt ist. Die Tuscheinschrift auf dem Vorsatzbrett konnte Kinsky mit einiger Mühe entziffern und übersetzen. Außenfelder: "Dominicius Venetus // fecit MDLXVI" (Domenico aus Venedig erbaute es 1566). Mittelfelder: "Unicuique probo patet praeclara domus Bentivola" (Jedwedem Rechtschaffenen steht das hochberühmte Haus Bentivola offen). Hinter dem Namen vermutet Kinsky die latinisierte Form des italienischen Familiennamens "Bentivoglia"; ein Heraldiker müsste folglich prüfen, ob das in der Mitte des Vorsatzbrettes aufgemalte Wappen zu dieser Familie gehört. Entsprechend sind die flankierenden Buchstaben "C. B." zu klären, etwa Carlo Bentivoglia?
Den Namen des Erbauers fand Kinsky nur "in dem bekannten Nachschlagewerk 'Nomocheliurgografia' des Grafen L. F. Valdrighi erwähnt, und zwar in dem 5. Nachtrag (Modena 1894) unter No. 4134 als venetianischer Spinettmacher mit der Jahreszahl 1561, wobei es dahingestellt sein mag, ob Valdrighi nicht das vorliegende Instrument gemeint hat und ihm nur ein Irrtum in der Jahreszahl unterlaufen ist." Nach Kinskys Aufzeichnungen befand sich ein undatiertes Spinett von Venetus in der Sammlung des Francis W. Galpin, außerdem führt einer der Verkaufskataloge des legendären Fälschers Leopoldo Franciolini ein kleines bemaltes Spinett von 1560 auf, dessen Verbleib unbekannt ist, mit dem angebotenen Instrument aber in keinem Zusammenhang steht.
Der Innendeckel zeigt eine Wiedergabe des Parnass, Apollo als Lyraspieler inmitten der neun Musen. Rück nennt als Maler Francesco Primaticcio, der jedoch 1531 an den Hof Franz I. nach Fontainebleau zur Ausmalung des dortigen Schlosses berufen wurde und bis zu seinem Tod 1570 am französischen Hof wirkte. Seine Frescomalerei mit Apoll und den musizierenden Musen ist im Schloss Fontainebleau erhalten. Kinsky lag eine Abbildung vor, die mit dem Deckelgemälde von MIR1086 kaum Ähnlichkeit hatte.
Erforderliche Reparaturen und Ergänzungen der Springer "sind nicht so erheblich, dass sie von dem geschickten Herrn Marx nicht ausgeführt werden könnten, wobei selbstverständlich alle Originalteile soweit wie möglich beibehalten werden müssten."
Kinsky hält das Spinett für ein ausgesprochenes Museumsstück von großer Seltenheit und schätzt den aktuellen Marktwert auf rund 5.000 RM. Die verlangten 15.000 Lire sind bei einem aktuellen Wechselkurs von 1.000 Lire = 217 RM etwa 3.255 RM, was "nicht übertrieben ist, wenn diese Summe für heutige Verhältnisse auch an sich ein ziemlich erheblicher Betrag ist." Vermutet, dass der Verkäufer mit sich reden und handeln lassen wird, "er müsste denn kein Italiener sein..." Allerdings muss Rück die Ausfuhrgenehmigung erwirken, was u.U. schwierig sein kann.
Abschließend bewertet er eine gute französische Lyragitarre mit ca. 150 RM [keine näheren Angaben dazu im Korrespondenzakt erhalten]. Ein "Monochord" darf in einer Sammlung historischer Musikinstrumente als "Urtyp des Klavichords nicht fehlen", je nach Ausstattung bewertet es Kinsky mit 30 bis 75 RM Anschaffungskosten. Selten sind inzwischen auch alte Dudelsäcke, die bei 100 bis 150 RM liegen dürften.
Berechnet 25 RM für seine Auskünfte, "die fast einen vollen Arbeitstag beansprucht haben". Hofft, dass Rück das schöne Spinett erwerben möge.