"Sehr verehrter, lieber Herr Doktor,
Sie haben sicher schon in allen Tonarten geschimpft, weil ich bis heute nichts von mir hören liess. Mit Recht! Dass ich Ihnen noch nicht für die Zusendung des Stimmstocks dankte, ist natürlich schlimm. Auch die Überhäufung mit Arbeit ist da keine rechte Entschuldigung.
Leider ist der Stimmstock für Studienzwecke unbrauchbar: der Saitenbezug ist nicht echt. Da ausserdem die Nummernbezeichnungen fehlen und die klingenden Längen unbekannt sind, könnte man auch beim echten Bezug nichts herausbringen.
Nun möchte ich Ihnen etwas sehr wichtiges mitteilen. Vor einigen Tagen habe ich auf dem Dachboden bei dem Herrn Klinkerfuss die magazinierten Instrumente studiert.
Wie ich erfahren habe, soll das Haus Klinkerfuss in kurzer Zeit abgebrochen werden. Bei dieser Gelegenkeit muss Herr Klinkerfuss für seine Instrumente einen neuen Lagerplatz finden, was ihm nicht leicht fällt (Entrümpelung!).
Ich kabe den Eindruck, dass er seine noch nicht restaurierten Instrumente evl. billig verkaufen würde.
Manche von ihnen haben gar keinen Wert, da sie vom Holzwurm total zerfressen sind, dagegen hat er auch welche, die sich leicht und mit geringer Mühe restaurieren liessen.
In erster Linie ist es ein Clavichord, signiert:
Joh. Christian Hagenmeier [Hageruf]
Orgel und Clavierinstru-
mentenmacher in Tübingen,
1795
Dieses fünfoktavige gebundene Instrument ist ein Unikum in der Beziehung, dass es im Bass 19 (statt normal 13) Oktävchen hat. Sehr interessant ist die Anordnung der Oktävchen, deren Wirbel sich rechts im Hauptstimmstock befinden.
Die Oktävchen sind also durch den Hauptsteg durchgelassen. Der alte Saitenbezug ist zum grossen Teil noch erhalten!
Es gibt nur noch ein Instrument mit dieser Oktävchenanordnung im musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel.
Ausserdem steht auf dem Dachboden noch ein sehr interessantes aufrechtstehendes Hammerklavier in Schrankform [möglicherweise MIR1130] (ähnlich wie ein holländisches Cembalo in der Staatl. Sammlung in Berlin). Auch andere Hammerklaviere stehen noch auf dem Dachboden, jedoch habe ich sie nicht angeschaut.
Soll ich mich mit dem Herrn Klinkerfuss vorsichtig wegen eines evl. Kaufs in Verbindung s[e]tzen?
Von sich aus könnten Sie an ihn nicht gut schreiben, da ja die Sache mit dem Verkauf nicht sicher ist und er mir die Mitteilung an Sie übelnehmen könnte.
Die ganze Angelegenkeit müsste man sehr vorsichtig behandeln und vor allem auf die Frau Klinkerfuss einwirken, die, wie ich bemerkt habe, als eine ordnungsliebende Hausfrau 'den Plunder' auf dem Dachboden gerne loswerden möchte. (Herr Klinkerfuss behält die Instrumente aus Pietät für seinen Vater, der sie gesammelt hat).
Schreiben Sie mir darüber bald, da das Haus evl. schon in der allernächsten Zeit abgebrochen wird.
Zum Schluss noch über eine andere Angelegenheit:
Wie ich Ihnen schon bei meinem letzten Aufenthalt in Nürnberg sagte, ist 1938 das 150. Todesjahr von Ph. E. Bach, dem grössten Clavichordkomponisten.
Aus diesem Anlass werde ich in, verschiedenen Städten seine Werke spielen. Auf meine Anregung hin veranst[a]ltet unsre Hochschule sogar ein Ph. E. Bach-Fest.
Wir kaben schon darüber gesprochen, dass es schön wäre, wenn ich im Nürnberger Kons[e]rvatorium einen Clavichordabend mit Werken von Ph. E. Bach geben könnte.
Nach einleitenden Worten von Prof. Steglich würde man bei dieser Veranstaltung Clavichordwerke und Lieder zu Gehör bringen.
Könnten Sie in dieser Angelegenkeit die Initiative ergreifen und mit Prof. Steglich sprechen? Von mir aus möchte ich es nicht gerne tun.
Zu Ihrer Orientierung sage ich nochmals, dass ich lediglich Ph. E. Bach zu Ehren spielen möchte, deswegen auch kein Honorar, sondern nur die Reise- und Transportkosten beanspruchen würde.
Sie sagten damals, dass U.Umständen auch ein Abend in Erlangen in Frage käme. Ich würde selbstverständlich auch in Erlangen gerne spielen, möchte jedoch auf keinen Fall Herrn Prof. Steglich, der ja auch Clavichord spielt, Konkurrenz machen.
Wäre ihm ein solcher Abend in Erlangen angenehm, so stehe ich ihm zur Verfügung, sollte ihm der Abend nicht passen, so verstehe ich es vollkommen. Auf alle Fälle bitte ich Sie diese letztere Angelegenkeit sehr delikat zu behandeln, da ich den Eindruck habe, dass Prof. Steglich, den ich sehr schätze, durch die trüben Erfahrungen, die er in Erlangen machen musste, leicht verletzlich geworden ist.
Als Zeitpunkt für diese Veranstaltung(en) käme am besten das Frühjahr 1938 in Frage, da ich im Herbst voraussichtlich in verschiedenen anderen Städten spielen werde, wodurch die Terminfests[e]tzung sich sehr erschweren würde.
Mit herzlichen Grüssen, auch von meiner Frau, die augenblicklich nicht zu Hause ist, bin ich // Ihr [handschriftl.] AKreutz
P.S. Meine Frau legt Ihnen, damit das Paket nicht umsonst geschickt wird, etwas Gebäck mit.
Schade, dass wir Ihnen keinen Apfelkuchen schicken können: das ist unsre neueste Spezialität (ist ganz vorzüglich!). Über den Klavierbau habe ich neue ganz tolle Quellen herausgestöbert!"