NL Rück, I, C-0570i

"Lieber Herr Marx!

Heute schreibt mir Gerold beiliegenden Bericht über den Giraffen in Dresden, der sich allerdings mehr auf seinen Giraffen als auf den bei Frl. Theilig bezieht. Nun ja, die Reise hat ja noch Weile, erst müssen Sie gesund sein und ich wünsche Ihnen weiter herzlich gute Besserung.

Gestern war ich in Heilsbronn und sandte Ihnen abends noch als Expressgut einen Karpfen, der hoffentlich mit zu Ihrer Gesundung beiträgt.

Nun zur Gitarre:

Ich verglich Ihre Masse mit meinen 2 5-doppelchörigen Gitarren und stellte folgendes fest:

die Mensuren scheinen, je jünger die Gitarren werden, desto kürzer zu werden. Auf beiliegendem Karton finden Sie eine skizzenhafte Aufnahme der Sellas-Gitarre von 1624 mit den genauen Massen (nur die Skizze ist nicht massstäblich). Ich nahm mir auch die Mühe, die oberste Saite zu stimmen, ich traute sie mir aber nicht auf d oder e zu ziehen, sondern zog sie auf das tieferliegende g und machte dabei eine sehr interessante Feststellung:

die Zahl der Bünde, mit dem Chorholz als 1. Bund berechnet, bis zum Oktavbund, der bereits auf der Decke liegt, ist bei dieser Gitarre nicht 13, sondern 15. Die weiteren noch auf der Decke liegenden Bünde, die zweifelsfrei original sind, scheinen mir zu beweisen, dass diese Gitarre enharmonisch dis - es - gis - as aufwies. Sie haben dies offenbar auch beobachtet, als Sie 2 Darmbünde mehr einsetzten als der Oktave entspräche, und die noch vorhandenen Holzbünde ergeben ziemlich genau vom Oktav - g ab gis - as - a.

Sie würde damit in die Kategorie der Tasteninstrumente mit enharmonischer Tastatur gehören, die um jene Zeit 1624 gebaut wurden.

Die französische Gitarre, die ich als weitere doppelchörige besitze, hat bereits wesentlich kürzere Mensuren. Ich habe nun noch zufällig eine ziemlich genaue Fotografie einer Voboam-Gitarre um 1700 aus Paris liegen und deren Mensuren liegen zwischen den Mensuren der Sellas und der französischen.

Daraus scheint hervorzugehen, dass die Mensuren abnahmen je später die Instrumente gebaut wurden. Doch kann dies auch ein Trugschluss sein.

Es würde sich nun darum handeln, ob der Hals abgeschnitten wurde oder original sein kann in der jetzigen Länge von 29,2 cm. Wenn er original sein kann, bitte ich Sie, den Hals auf dieser Länge zu belassen. Auf keinen Fall versetzen wir noch den Anhang, sondern belassen diesen. Ich halte es überhaupt für das richtigste, den Hals in der jetzigen Länge von 29,2 cm zu belassen. Wenn der
Oktavbund dann auf die Decke zu liegen kommt, so stimmt dies ja genau überein mit der historischen Sellas-Gitarre: nur ist bei dieser der 1. Bund auf der Decke, wenn man die Decke vom Halsansatz ab rechnet, dagegen der 4. Bund, wenn man zur Decke noch das in den Hals hineinragende Stück rechnet.

Bei der Voboam-Gitarre ist der Oktavbund der 2. Bund auf der Decke (siehe Fotografie), bei der französischen Koliker-Gitarre ist es ebenfalls der 2. Bund auf der Decke und zwar liegt er hier ebenso wie bei der Voboam noch auf dem Deckenansatz im Hals.

Abschliessend: nachdem Sie mir am 7.d.M. schrieben, dass im jetzigen Zustand der Ischler Gitarre die Oktave der 2. Bund auf der Decke ist, geht daraus hervor, dass der Hals mit 29,2 die richtige Länge hat und ich bin dafür, den Hals auf dieser Länge zu belassen. Die anliegende Tabelle gibt Ihnen interessante vergleichende Masse.

Dem heutigen Brief lege ich auch wieder Federn bei, die ich gestern in Heilsbronn bekam und die allerdings schon mit den Motten Bekanntschaft machen. Bitte schneiden Sie zu, was gut ist.

Soeben sprach ich telefonisch mit dem Stahl- u. Drahtwerk Röslau. Wir bestellten ja bei Zacharias halbharten Draht, um damit ev. das Pape zu beziehen mit Ausnahme des Basses, den wir hart beziehen wollen. Zacharias bestellte bei Röslau und dieses Werk frug bei mir an, welche Härte der halbharte Draht haben soll. Dabei stellte sich heraus, dass Röslau für Neupert halbharte Drähte seit Jahren liefert und zwar in 2 verschiedenen Härtegraden je nach dem Verwendungszweck für Restaurierung alter Instrumente. Ich wies Röslau an, mir von diesen Drahthärten je 1 Muster zu senden und ich werde dann diese Muster Ihnen senden, damit Sie entscheiden, was wir davon brauchen können:
a) für Hammerflügel aus der Zeit 1820-1850
b) ev. für Flügel aus der Mozart- Zeit oder für Clavichorde, Spinette und Cembali, in besonderen Fällen.

Nach Einlangen Ihrer Antwort werde ich dann in Röslau bestellen. Röslau schreibt mir auch, welche Mengen vorrätig sind, denn wir müssen uns nach den vorrätigen Mengen richten, weil sie extra den Draht nicht in Kilomengen ziehen können, besonders jetzt nicht bei dem Mangel an Arbeitern.

Wie Sie sehen, bin ich immer noch hier:
ich muss morgen zur Beerdigung des Bruders von Oberlehrer Funk nach Gunzenhausen und so verschiebt sich meine Abreise wieder um 1 - 2 Tage. Schreiben Sie also vorerst noch hierher.

Als Ergänzung für Ihre Akten überreiche ich Ihnen anliegend Durchschlag Ihrer Rechnung über die Restaurierung des Clavizytheriums. Die Original-Rechnung liegt bei meinen Akten. Die Verrechnung ist ja bereits erfolgt.

Ihnen, lieber Herr Marx, wünsche ich herzlichst eine recht gute und baldige Besserung und würde mich ungemein freuen, wenn ich recht bald noch in diesem Sinne günstige Nachrichten von Ihnen bekäme.

Seien Sie indessen aufs herzlichste gegrüsst

von Ihrem // [handschriftl.] Dr. Rück."

Absender/Urheber Person
Empfänger Person
Datum
1941,02,17
Schreibort
Nürnberg