"Mein lieber und verehrter Herr Kirkpatrick!
Sie glauben nicht, wie ich erfreut bin, Ihr liebes Pak[e]t bekommen zu haben, insonderheit nicht minder, daraus ersehen zu dürfen, dass Sie leben und wie ich hoffe weiter Ihren so schönen Beruf ausüben zu können und dürfen!
Haben Sie vor allem meinen allerherzlichsten und innigsten Dank für Ihre Liebesgabe! Sie erfreut mich nicht nur, sondern sie ist für mich dazu eine grosse Hilfe: ich erkrankte im April 45 an einer sehr schweren Darmneurose mit schweren Darmkrämpfen, dies brachte mich so herunter, dass ich im Oktober 45 ins Krankenhaus Nürnberg mit 55,3 kg abgemagert fast bis zum Skelett am Oberkörper mich begeben musste. Dank der ärztlichen Kunst von Prof. Bingold konnte ich Pfingsten 46 das Krankenhaus verlassen und inzwischen 10 Kilo zunehmen, d.h. vom Oktober 45 bis Mai 46. Seitdem bin ich Reconvalescent und erhole mich momentan nicht weit von Salzburg: in der schönen Ramsau bei Berchtesgaden, wo ich wenigstens gute Luft habe und viel liege, denn viel spazierengehen beansprucht mir zuviele Kalorien, so dass ich in den ersten Wochen wieder 1 1/2 Kilo abnahm. Die Schmerzen, die monatelang sehr heftige waren sind vorüber und ich bin nach 3/4jähriger Diätkost jetzt auf normale Koste [sic!] übergegangen, die ich vertrage. Aber es fehlen mir zu meinem normalen Gewichte immer noch 18 Kilo, ich bin immer noch sehr abgemagert, doch schalte ich mich bereits wieder -besonders wenn ich jetzt anfangs September nach Nürnberg zurückkehre - ins Geschäft ein. So danke ich Gott, dass er mich wieder gesunden liess und so verstehen Sie, eine wie grosse Hilfe mir Ihre Liebesgabe für meinen körperlichen Zustand ist. Ich bekomme zwar eine kleine Krankenzulage an Milch und Nährmitteln, aber diese und die normalen Rationen, die derzeit in Deutschland verteilt werden, genügen eben nicht für mich, um mich bald wieder ganz hoch zu bringen. Darum ist mir jede Hilfe mit Liebesgaben von Freundeshand hochwillkommen und sie trägt wesentlich bei, mich wieder auf die alte Höhe zu bringen.
Ich muss Ihnen aber noch für ein zweites danken: Sie sandten mir kurz vor Ausbruch des unseligen Krieges ein so schönes Album mit Schallplatten, die von Ihrer grossen Kunst der Wiedergabe alter Musik mir kündeten. Ich dankte Ihnen zwar damals schon, fürchte aber, dass Sie dieser Dank nicht mehr erreichte, und darum wiederhole ich meinen Dank heute. Leider verbrannten mir die Platten am 10./11. August 43 total, als Fliegerbomben meine zwei Häuser Tafelfeldstr. 22 und 24 mit heftigem Feuer überzogen, so dass nur mehr die Umfassungsmauern stehen, das Innere aber ganz ausbrannte! Das Haus Jahnstrasse 27 - wo wir in dessen tiroler Diele so viele schöne und interessante Stunden verbrachten - wurde dann am 16. März 45 ein weiteres Opfer von Flieger-Brandbomben und brannte innen ebenfalls aus. So habe ich momentan kein Heim mehr, ich wohne bei Freunden, wo ich ein Zimmer und Frl. Weigand, meine treue Haushälterin eine Kammer haben. Wir müssen meist auf einer elektrischen Kochplatte im Zimmer kochen. Um das Geschäft halbwegs wieder in Gang zu bringen, stellten wir im Garten Jahnstrasse 27 (Rückgebäude zu Tafelfeldstr. 22/24) eine 25 Quadratmeter grosse Holzbaracke auf, von der 10 Qm Büro sind und 15 qm Werkstatt: früher hatte ich 1000 Qm! Ich beginne im September mit dem Wiederaufbau von Jahnstr. 27, um in erster Linie selbst wieder ein bescheidenes Heim zu bekommen und Räume für einen geordneten Geschäftsbetrieb. Dieser erstreckt sich bis auf bessere Zeiten vorerst auf Reparaturen und Restaurierungen und auf Vermietung und auf den Konzertdienst.
Ich rettete mehrere Steinway-Flügel, die ich dem öffentlichen Konzertleben zur Verfügung stellte, die neu sind so dass derzeit in Nürnberg und Umgebung Steinway im Konzertleben dominiert. Die Künstler, welche von auswärts kommen, sind alle begeistert, ausgerechnet in dem schwerst zerstörten Nürnberg solch feine, neue Steinway-Flügel für Konzerte vorzufinden!
An ein Verkaufsgeschäft ist vorläufig noch nicht zu denken, da viele bedeutende Klavierfabriken entweder zerstört sind (wie z.B. Bechstein), oder schwer beschädigt erst in kleinstem Umfange wieder produzieren (Blüthner), oder von den Russen total ausgeräumt - man nennt dies 'demontiert' - sind (Seiler/Liegnitz). Ebenso ists mit den Mechanik- und den Klaviaturfabriken. Es werden noch etwa 2 Jahre vergehen, ehe wieder produziert werden kann in solchem Umfange, dass nicht nur die Reparationslieferungen, sondern auch der civile Bedarf befriedigt werden können!
Meine Sammlung wurde in den Jahren, seit Sie letztmals bei mir waren noch erweitert: ich transportierte schon Herbst 41 das allermeiste, die erste Garnitur, ab nach Östereich zu meinen Freunden Graf Uiberacker in Schloss Sighartstein bei Salzburg, wo sie erhalten blieb. Der amerikanische Kunstoffizier gab die Genehmigung, die Sammlung zurückbringen zu dürfen und ich hoffe, sie im Herbst wieder zu haben. Da ja meine schönen Räume dafür gänzlich zerstört sind, und das Germanische Museum in Nürnberg ebenfalls derzeit keien [sic!] Räume verfügbar hat, stelle ich das beste in der Universität Erlangen auf, wo ich einen 130 Qm grossen Raum bekomme. Wenn Sie also wieder kommen, finden Sie dort das beste vor. Neuerworben wurde von Instrumenten, welche Sie interessieren: ein Silbermann-Clavichord [1061], ein Cembalone italienisch 1705 in vergoldetem Gehäuse, eines der ersten Hammerklaviere noch einchörig, ein unbestritten echtes Clavicytherium um 1600 [MIR1080]: zweifelsfrei eine Ruckers-Arbeit mit 4 Registern: ganz fabelhaft schön im Tone, eine Rarität ersten Ranges, ein Erard-Flügel [MIR1125], auf dem Chopin, Liszt, Wagner viel spielten, ein Ruckers 1manualiges Cembalo [MIR1073], mehrere Spinette noch aus dem 16. Jahrhundert italienisch signiert, 2 Hubert-Clavichorde [wahrscheinlich MIR1054 und MIR1058], ein Jean André Steinflügel 1791 [wahrscheinlich MIR1104], ein Carl Steinflügel 1835 [MIR1120] (für Schumann fabelhaft schön!): all dies ist restauriert und konzertfähig spielbar! Prof. Steglich, der ebenso wie ich und wie alle meine Leute niemals bei der Partei waren, wird all diese Schätze jetzt in der Universität der Lehre, Forschung und allen Musikliebhabern in Konzerten vorführen. Ich und wir alle sind glücklich, dies gerettet zu haben, denn die staatlichen Sammlungen in Berlin und Leipzig sind aufs schwerste dezimiert. Hartmann Berlin ist im Kriege verstorben, mein Restaurator Marx lebt noch, ist aber schwer unterernährt, so dass ich versuchen muss, ihm hie und da einmal ein 500 Gramm-Päckchen mit Nährmitteln zu senden, die ich ihm aus meiner Ration abtrete. Ich versuche jetzt, ihn nach Nürnberg zu bringen, damit er bei mir noch einiges restaurieren kann. Und in bessere Verhältnisse kommt.
Zum 50jährigen Jubiläum restaurierten wir W.A. Mozarts eigenes Clavichord, das in Mozarts Geburtshaus in Salzburg steht und machten davon eine getreue Meistercopie. Ebenfalls machten wir zwei Copien von W.A. Mozarts originalem Flügel, die erhalten blieben. So kann die Mozartforschung nicht nur in Salzburg, sondern auch in Nürnberg-Erlangen auf originalen Instrumenten arbeiten!
Unser gemeinsamer Freund Maendler verlor in München seine Wohnung, sein Geschäft und seine Werkstätten: alles total verbrannt. Er wohnt zur Zeit in seinem weekend-house, Adresse:
(13b) Seefeld-Hechendorf am Pilsensee, Oberbayern, Haus Nr. 44
und würde sich sehr freuen, von Ihnen Nachrichten zu bekommen. Es geht ihm zufriedenstellend, dagegen ist seine Frau sehr mager geworden. Maendler arbeitet tüchtig an den Zeichnungen für neue Modelle und hat bereits darin ein Clavichord und ein Spinett fertig, auch jetzt Aussicht, wieder eine Arbeitsstätte in München zu bekommen. Sein Personal überstand den Krieg heil. Mit Yella Pessl steht er in angeregtem Briefwechsel.
Frau Harich-Schneider war während des Krieges in Japan mit einem neuen Maendler-Cembalo dort konzertierend, doch weiss ich nichts Näheres über sie. Frau Speckner-Georgiades konzertiert in München tüchtig und erfolgreich, ebenso Stadelmann und Alfred Kreutz in Stuttgart, der allerdings alle seine Noten verlor, da solche die französischen Besetzungsoldaten mit sich nahmen: er hatte geradezu Schätze an alter Musik.
Leider ist auch meine Bibliothek an Büchern und an Noten total verbrannt, ich habe fast nichts retten können. Besonders die Noten für alte Musik fehlen mir, nicht minder die Kataloge der amerikanischen grösseren Sammlungen alter Musikinstrumente: Metropolitan Museum Naw York [sic!], Museum of fine Arts Boston, Stearns Collection Ann Arbor, Skinner Collection in ??: sollten Sie davon gelegentlich einmal etwas bekommen und mir senden können, wäre ich sehr glücklich! Alfred Kreutz brachte bei Schott/Mainz allerhand nette kleine Stückchen für Klavier oder Clavichord alter, bisher ungedruckter Meister heraus, die ich Ihnen als Gegengabe senden könnte, sobald Postdrucksachen nach USA genehmigt werden! Und vorausgesetzt, dass Sie dafür Interesse haben.
Auch meine Grammophon- etc. Schallplatten mit alter Musik auf alten Instrumenten verbrannten mir total: für Viola d'amore, Clavichord, Cembalo, Spinett, und allerhand andere historische Instrumententypen. Auch darin bin ich auf die Hilfe meiner Freunde angewi[e]sen zum Ersatze.
Von Prof. Curt Sachs höre ich nur, dass es ihm in New Yor[k] nicht zum besten gehen soll: darf ich Sie um seine Adresse bitten? Ich würde gerne mit ihm in Briefwechsel treten, falls er sich noch für historische Instrumente interessiert!
Leider höre ich von meinen Steinway-Freunden nichts: ich schrieb, ebenso Maendler, an William Steinway einen netten Brief, aber bisher kam keine Antwort. Falls Sie der Weg bei Steinway's vorüberführt, wäre ich Ihnen dankbar, dort meine Grüsse zu übermitteln, an Mr. William und den ältesten Sohn, der in München studierte, und den Inhalt meines Briefes den Herren zugänglich zu machen, da doch auch manches darin sich findet, das die Herren vielleicht interessieren dürfte!
Nürnberg's Altstadt ist leider so ziemlich gänzlich zerstört: die berühmten Stätten der renommierten Nürnberger Bratwürste: das Glöcklein und das Herzlein - wo wir auch waren - sind restlos verschwunden. Ebenso die Meistersingerkirche bis auf die Umfassungsmauer ausgebrannt, viele alte Kirchen und Patrizierhäuser total zerstört. Doch beginnt langsam der Wiederaufbau. Die Tram läuft schon wieder auf vielen Strecken, das Gaswerk produziert zu 30 %, ich habe wieder Telefon, u.s.w. Aber leider ist gerade meine Branche aufs schwerste geschädigt, da alle Mechanik- und Klaviaturfabriken in der amerikan. engl. frnzös. Zone erst in etwa 1 Jahre wieder werden bescheiden produzieren können, und in der russischen Zone sind diese Betriebe von den Russen ausgeräumt worden, 'demontiert', wie man sagt.
Nun noch zu Ihnen persönlich: konzertieren Sie viel? Welche Instrumente spielen Sie jetzt? Ich hörte, Sie hätten Ihr schönes Maendler-Cembalo verkauft? Was macht Dolmetsch's Herstellung von Clavichorden u. Cembalis? Dolmetsch ist doch vor Jahren schon verstorben.
Wie geht es Ihrer Schwester?
Soviel für heute. Es wird mich herzlich freuen, wenn ich von Ihnen bald ausführliche Antwort erhalte. Leider trifft diese nur mehr mich an, denn mein lieber Bruder verunglückte in der Weihnachtsnacht 1940 vor der Oper in Wien auf der Tram durch Abstürzen und verliess mich am 25.12. früh 6 für immer: so bin ich mit meiner Wirtschafterin allein. Im Geschäft ist noch mein Prokurist Haid tätig.
Seien Sie nochmals aufs herzlichste bedankt für Ihre mich so freudig erfüllende Liebesgabe und aufs aufrichtigste und wärmste begrüsst von // Ihrem Dr. Ulrich RÜCK".