"Lieber Herr Doktor,
da ha ich doch Ihren Geburtstag am 18. verpaßt!! Das fällt mir schwer aufs Gewissen. Ich hoffe nur, daß auch jetzt noch, post festum, meine Wünsche für Sie die Wirkung haben, nicht nur Wünsche zu bleiben, sondern sich in die Wirklichkeit umzusetzen, und nicht erst irgendwann in späteren Zeiten, sondern möglichst schnell und gründlich. Das sind alle guten Wünsche für Ihre Gesundheit und Ihr sonstiges Wohlergehen. Wozu auch gehört, daß Sie Ihre Sammlung endlich zurück und zusammen bekommen, und zwar ohne daß Sie weiterhin solche Scherereien damit haben müssen wie bisher. Der schöne Raum im Kollegienhaus wartet ...
Ja, da hatte ich also den 18. verschwitzt! Nach Ihrer letzten Karte stellte ich Sie mir wieder auf der Reise in München vor. Das hat dazu beigetragen, auch die Erinnerung an die historische Bedeutung dieses Tages sozusagen in die Ferne zu rücken. Dazu kommt noch ein Zweites, und noch dazu etwas sehr Zeitgemäßes, aus dem Sie meine Fortschritte in der Demokratie und im Antmilitarismus erfahren können: früher hatte ich mir den 18. Oktober immer als Datum der Völkerschlacht bei Leipzig gemerkt. Das ist mir nun aus dem Gedächtnis entschwunden, damit war's aber leider auch die Kombination mit Ihrem Geburtstag. Wie merkwürdig hängt doch alles in der Welt miteinander zusammen!
Ich hab in den letzten Wochen tüchtig gearbeitet. Zunächst wollte es in den Universitätsferien nicht so recht damit gehen, jedenfalls nicht so wie sonst in den Ferien und auch noch im Sommer und Herbst letzten Jahres, wo die Ernährungsgrundlage noch besser war. Aber nachdem ich mal ein bißchen Bohnenkaffee verehrt bekommen hatte, den ich nun weise verteilt - immer nur ein bißchen auf einmal - zu mir nehm, geht's auch mit der geistigen Arbeit wieder besser. Daß der Mensch doch von der schnöden Materie so abhängig ist!!! Da habe ich einen (meiner unmaßgeblichen Meinung nach sehr schönen) Fidelio-Aufsatz für die handschriftliche Festschrift fertig gemacht, die Schiedermair in Bonn zu seinem 70. Geburtstag am 7. Dezember überreicht werden soll. Ferner habe ich einen nicht minder schönen Vortrag ausgearbeitet über den "Ausdruck der Frömmigkeit in der Musik Bachs und Händels" für Bamberg, allwo er am 1. Dezember in der dortigen Christenheit, die ihn bestallt hat, steigen soll. Gern, o wie gern hätt ich die Ferien auch zum Wiedereinspielen auf historischen Flügeln benutzt - na, das wird nun hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen, obzwar während des Semesters nicht so sehr viel Zeit dafür ist. Dieses Semesters sollte eigentlich morgen beginnen. Nun ist der Anfang auf den 11. November verschoben - es findet nämlich wiedermal eine Überprüfung des Lehrkörpers statt. Hoffen wir, daß es dan wirklich in drei Wochen anfängt! Wenn dann auch schon die Instrumente aus Sieghartstein da wären, wie schön wär das! Ich halte ständig den Daumen, daß Ihre Bemühungen doch endlich sichtbaren Erfolg haben!
Da muß ich Ihnen doch gleich noch eine kleine Geschichte erzählen, die Sie interessieren wird. Kommt da neulich ein alter Nürnberger Schüler von mir, den Sie vielleicht auch noch kennen. Dr. Leo Fürst (der Vater hatte die Großschlächterei am Obstmarkt). Er war zuletzt bei der Wehrmacht in Italien gewesen, hatte zuletzt mit anderen abgehauen und sich durchs Trentino nordwärts geschlagen auf einem schönen Wagen, bis sie von italienischen Partisamen gestellt wurden. Strenges Verhör vor dem Partisanenhauptmann: "Woher sind Sie??" Dr. Fürst: "Aus Nürnberg". Der Häuptling: "Ach, da hab ich einen guten Freund, den Dr. Rück!" Na, Sie können sich vorstellen, wie das weiterging! Dr. Fürst erzählte nun auch, daß er Sie und Ihre Sammlung kenne, er war wohl auch mit in der idyllischen Diele gesessen und schwärmte nun davon, das Ende vom Lied: Der Hauptmann - Dr. Garbari muß es wohl gewesen sein - entschied, daß er zwar den Wagen dabehalten müsse, schon seiner Leute wegen, daß aber Dr. Fürst mit den Seinen mit so viel Gepäck als sie nur schleppen könnten, ungefäherdet nach Hause gen Nürnberg tippeln können. Sie sehen, daß es was wert ist, gute Freunde zu haben, auch für manchen andern Zeitgenossen!
So bin ich denn mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüßen // Ihr RudolfSteglich."